…aber dafür viel Medienkompetenz
Seit Jahren verfolge ich als ABACUS-Nachhilfelehrer in MINT-Fächern die Berichterstattung der Medien über den Leistungsstand der Schülerinnen und Schüler an deutschen Schulen und setze sie in Beziehung zu den eigenen Erfahrungen in der Unterrichtspraxis. Nach Veröffentlichung der internationalen Schulleistungsstudie TIMSS* 2015 war das Fach Mathematik – wie in Vorjahren – Gegenstand von bedauernswerten Schlagzeilen in den Medien. So titelte das Hamburger Abendblatt in seiner Ausgabe vom 30.November 2016: „Jeder vierte Grundschüler scheitert an einfachen Matheaufgaben“.
Den Ergebnissen dieser Studie zur Folge liegen die Leistungen der Schülerinnen und Schüler in diesem Fach an deutschen Schulen unter dem EU-Durchschnitt. An der Leistungsspitze stehen asiatische Länder (zum Beispiel Singapur), auf europäischer Ebene liegen wieder Länder im Norden (wie beispielsweise Dänemark und Finnland) weit vor Deutschland.
Claudia Bogedan, Präsidentin der Kultusministerkonferenz wird in dem Beitrag des Abendblattes wie folgt zitiert: „Es ist uns nicht gelungen, das Schulsystem so zu verbessern, wie es in anderen Ländern gelungen ist.“ Auf die an sie gerichtete Frage, warum denn in den EU-Nachbarstaaten bessere Ergebnisse erzielt werden, antwortete sie dem Abendblatt zufolge achselzuckend: „Wir müssen uns die Ergebnisse genau anschauen“.
Der Autor ist über diese Äußerung einigermaßen erschüttert: Bedenken wir, wie lange dieser Zustand schon andauert, wie viele Berufene und Experten aus dem Bereich der Bildungsministerien und der Schulbehörden schon Gelegenheit hatten, derartige „Ergebnisse genau anzuschauen“ und schließlich wie oft bereits vielversprechende „Mathe-Offensiven“ angekündigt wurden (siehe hierzu mein Beiträge vom August 2016 (Mint-Fächer: Keine Trendwende in Sicht) und Oktober 2016 (Mathematik Abitur immer schlechter)).
Die fatalen Folgen dieses Missstandes im Bereich der MINT-Fächer und hier besonders in Bezug auf den Leistungsstand in Mathematik an unseren Grundschulen werden in einem Kommentar von Herrn W. Bos, Studienleiter von der Technischen Universität in Dortmund, auf den Punkt gebracht: Das Abendblatt zitiert ihn wie folgt: „Wenn die Schüler später von der Grundschule auf die weiterführende Schule wechseln, wird vorausgesetzt, dass sie die Grundrechenarten sicher beherrschen, …Wer das nicht beherrscht, hat kaum Chancen, es aufzuholen.“
Genau das ist die Situation, die der Autor in Ausübung seiner Aufgabe als Nachhilfelehrer in MINT-Fächern vielfach vorfindet. Dabei sollte beachtet werden, dass die Erfahrungen, über die hier berichtet wird, Schülerinnen und Schüler betreffen, die aus Schulklassen im Bereich Sekundar- bis Oberstufe stammen. Ungeachtet der Tatsache, dass das jeweils aktuell im Unterricht behandelte Thema – etwa Quadratische Gleichungen in der Sekundar – oder Integralrechnung in der Oberstufe – vielfach prinzipiell beherrscht wird, ist die Bearbeitung der Aufgaben im Unterrichtsalltag häufig belastet durch Lücken im Basiswissen, die ihren Ursprung durchaus in der Grundschule oder der frühen Sekundarstufe haben. Die weitverbreitete Unsicherheit im Umgang mit Zahlen überhaupt, den Vorzeichenregeln und den Grundrechenarten hat teilweise staunenswerte Ausmaße: Wenn etwa die Funktionsgleichung einer Parabel durch Ausklammern einer gebrochenen Zahl – und sei es nur der Faktor ½ – umgeformt werden soll, so geht der Griff sofort zum Taschenrechner. Die Aufforderung, es ohne zu versuchen, findet selten Beifall und führt gelegentlich auch zur „Roten Karte“ für den Lehrer. Angesichts dieses allgemein bekannten und schon recht lange andauernden Dilemmas – den im Schulunterricht erreichten Leistungsstand in Mathematik betreffend – ist es bemerkenswert, welche Aufmerksamkeit dem Thema „Medienkompetenz der Schülerinnen und Schüler“ von vielen mit der Schulausbildung befassten Institutionen und Personen gewidmet wird. Die Medien sind – mehr oder weniger regelmäßig – damit befasst.
Etwa eine Woche (6. Dezember 2016) nach dem Erscheinen des zuvor besprochenen Zeitungsartikels über die schwachen Leistungen in Mathe an den Grundschulen, titelt das Hamburger Abendblatt im Hamburgteil: „Mit Laptops im Unterricht lernen“ mit dem vielversprechenden Untertitel: „An 30 Hamburger Grundschulen erfahren schon Drittklässler, was Medienkompetenz ist.“ Das Motto lautet: „Mit Papier und Bleistift zu arbeiten ist doch langweilig.“
Es handelt sich also auch hier um Grundschulen, die vermittels erheblicher Investitionen für die benötigte Ausstattung der Klassen mit dem medienrelevanten Zubehör und – wie man liest – auch durch umfangreiche Zusatzausbildungen von Lehrerinnen und Lehrern Medienkompetenz im zarten Jugendalter vermitteln.
Ohne die Notwendigkeit der Verbreitung und des Erwerbs von Medienkompetenz grundsätzlich in Frage stellen zu wollen, scheint mir die in der Öffentlichkeit auf die Schulen bezogene Sorge um den Wissensstand der Schülerinnen und Schüler auf diesem Gebiet leicht übertrieben. Vielleicht ohne die gebotene Ernsthaftigkeit zu diesem Thema erlaube ich mir, auf eine Situation hinzuweisen, die heute in fast allen Familien geradezu typisch ist: Wenn der Vater oder die Mutter anklingen lassen, dass sie ein Problem in der Handhabung des Laptops oder des Smartphones haben, dann meldet sich üblicherweise umgehend eine Tochter oder ein Sohn mit dem Angebot: „Lass mich mal!“, und in der Regel „läuft es dann auch“. Wer Spiele aller Art oder Musiktitel aus dem Internet herunterladen oder die gängigen Apps auf Smartphones handhaben und entsprechend zu eigenem Vergnügen auswerten kann, der verfügt schon über erhebliche Medienkompetenz. Und wie wir alle wissen, sind in unserer modernen Welt diese Fähigkeiten schon im frühen Alter recht gut ausgeprägt.
Wenn Medienkompetenz als Lehrfach an dem Schulen ausgeübt wird, dann sollte aus meiner persönlichen Sicht vor allem auch der verantwortungsvolle Umgang mit Medien ein Thema sein. Dies meine ich hier ganz besonders auch im Hinblick auf den Lehr- und Lernbetrieb an den Schulen, wobei ich in diese Diskussion auch den sinnvollen Gebrauch der heute an den Schulen allgemein eingeführten „hochintelligenten Taschenrechner“ einschließe. In dem von mir herangezogenen Artikel über Medienkompetenz in den Grundschulen wird eine kürzlich veröffentliche Studie erwähnt, die zu dem Ergebnis kommt: „Tablets und die Arbeit im Internet verbessern zumindest an den weiterführenden Schulen selbständiges Lernen“
Die lebendige Erfahrung damit, wie sich dieser Ansatz im naturwissenschaftlichen Lehrbetrieb unserer Schulen im Sinne des derzeit praktizierten kompetenzorientierten Individualunterrichts niederschlägt, führt zu der Befürchtung, dass es zukünftig weit mehr darauf ankommt, mit Hilfe der Medienkompetenz heraus zu finden, wo spezielles Wissen und Methoden im Internet beziehungsweise auf dem Taschenrechner zu finden sind, als Basiswissen selbst zu erwerben. Diese Befürchtung korreliert dann auch mit der Wahrnehmung, dass es um die hierzu erforderliche Vermittlung von Basiswissen seit längerem und zunehmend schlecht bestellt ist. Aus Sicht des Autors liegt hier ein wesentlicher Ansatz zu Überwindung der zuvor beklagten Misere!
*) TIMSS = Trends in International Mathematics and Science Study
Ja, dieses „Mit Papier und Bleistift zu arbeiten ist doch langweilig“ habe ich auch schon des öfteren gehört. Ich lehre Mathematik und Physik am Gymnasium und versuche, den Unterricht interessant zu gestalten, aber Lehrtexte sind einfach oft sehr trocken. Meine Schüler schauen sich gern Lernvideos im Internet an und das scheint etwas zu bringen (vor allem dem audiovisuellen Lerntyp).