Das Bundesland Schleswig-Holstein mit Bildungsministerin „Wara“ Wende macht Ernst und schafft, wie angekündigt, die Noten an Grundschulen ab August 2014 ab. Wie schon im März 2014 in „Schule Aktuell“ angekündigt, wird es ab dem neuen Schuljahr an den Grundschulen im nördlichsten Bundesland keine Noten mehr geben, sondern nur noch „individualisierte Leistungsrückmeldungen“.
In der Sekundarstufe I geht es dann mit der Abkehr von Noten weiter: Gemeinschaftsschulen können ebenso noch bis einschließlich Klasse 7 auf Noten verzichten. „Noten waren Gestern“, so das LaBiMin-S-H.
Statt dessen sollen „Kompetenzraster“ eingeführt werden:
„Ab dem Schuljahr 2014/15 sollen die Grundschulen durchgängig auf Schulnoten verzichten können und stattdessen mit Kompetenzrastern arbeiten. Kompetenzraster geben den Eltern eine genauere Rückmeldung über die Stärken und Schwächen ihrer Kinder als Ziffernnoten. So wird beispielsweise im Fach Deutsch unterschieden zwischen der verbalen Sprechfähigkeit und dem Sinn erfassenden Zuhören-Können, dem Wortschatz und der grammatikalische Sicherheit, der Lesekompetenz und dem Sinn erfassendem Textverstehen, dem orthographisch korrekten Schreiben-Können und der Differenziertheit der schriftsprachlichen Ausdrucksfähigkeit. Damit alle Schulen nach einheitlichen Kompetenzrastern arbeiten können, wird das Bildungsministerium Vorlagen erarbeiten und den Schulen zur Verfügung stellen.“
Natürlich werden die Vorlagen nicht von allen Grundschulen einheitlich und gleich benutzt und bewertet…
Es ist schon interessant, den jeweiligen Befürwortern und Gegnern von Noten und Berichtsbewertungen zuzusehen. Teilweise sehr polarisierend wird hier ein Disput darüber geführt, ob eher mit Ziffern oder eher mit Berichten die besseren Leistungsrückmeldungen an Schüler-Innen und Eltern erzielt werden können.
Scheinbar machen sich Bildungspolitiker viele Gedanken über eine immer differenziertere und hochindividuelle Leistungsrückmeldung an Schüler, weniger über gleiche – vergleichbare – Leistungen. Hamburg wollte vor vier Jahren gar ein „90-Punkte-System“ einführen und die Noten-Differenzierung in sogen. „A-“ und „B-Noten“ an den Gesamtschulen kennen sicher auch noch Viele.
Nun sollen es die Kompetenzraster also richten und eine möglichst hohe Differenzierung und Individualisierung in der Leistungsbewertung von Schülern gewährleisten. Beispiele mal hier: (Max-Brauer-Schule, Hamburg) oder der Johann-Peter-Hebelschule (Waldshut).
Dabei gibt es ein bundeseinheitliches Ziffernnotensystem mit %-Anteilen: Die IHK’n verwenden es in der Berufsbildung seit Jahren. Wenn man sich also schon aus der Beruflichen Bildung den Unterricht nach Lernfeldern abschaut, warum nicht auch die bundesweite Einheitlichkeit im Stoff und der Bewertung?
Verkannt wird von beiden Lagern, dass weder Noten noch Kompetenzraster das gewährleisten, was die genuine Aufgabe von schulischen Leistungsbewertungen eigentlich sein sollte: Objektivität und Vergleichbarkeit von schulischer Leistung in einem gesellschaftlich erwarteten Gesamtkonzept herzustellen.
De facto führen binnendifferenzierter, individualisierter Unterricht und „selbstverantwortete Schule“ auch immer weiter weg von schon durch die KMK (bzw. IQM) seit 2003 vorgegebenen bundeseinheitlichen Bildungsstandards.
Schulische Leistungsbewertung orientiert sich so immer weniger an allgemeinen, gesamtgesellschaftlich vorgegebenen Wissens- und Bildungserwartungen, sondern wird immer abhängiger von schulisch individuell erstellten Fachcurricula, von sozio-demografischen Faktoren der Schülerschaft im Einzugsgebiet der Schule und von der jeweiligen subjektiven, individuellen Vorstellung der einzelnen Lehrkräfte von jeweils erbrachter Leistung.
Eine möglichst objektive Verlässlichkeit von schulischer Leistungsbewertung, eine Einordnung der individuellen Schulleistung eines Kindes in ein Gesamtkonzept von gesellschaftlich relevanten Erwartungen im Hinblick auf die spätere notwendige wertschöpfende Teilhabe an Gesellschaft wird mit Kompetenzrastern und subjektiv vergebenen Ziffernnoten noch stärker verschleiert und verklausuliert.
Einmal ganz abgesehen von der Problematik, dass jedwede schriftsprachliche Form der Leistungsbewertung nie eindeutig und immer interpretationsbedürftig ist.
So werden auch gleiche Kompetenzraster oder die gleiche Ziffernnote im Fach Deutsch für den Schüler in Hamburg-Blankenese über Fähigkeiten und Basisqualifikationen zukünftig etwas anderes aussagen als die gleichen Kompetenzraster-Textbausteine oder die gleiche Ziffernnote es für den Schüler in Hamburg-Billstedt tut.
Es bleibt die Frage, wie weit wir es mit der Unterrichts-Individualisierung im Hinblick auf zukünftige gesellschaftliche allgemeine Anforderungen bildungspolitisch treiben dürfen. Kompetenzraster sind wohl nicht die Lösung.