Schulische Bildung in Deutschland agierte lange erfolgreich unter dem Paradigma der Allgemeinbildung, was bildungstheoretisch bedeutete, zumindest in Grundzügen einem humanistischen Bildungsprinzip zu folgen und so der Herausbildung einer „kritischen Ich-Identität“ zu fördern, um den „mündige Bürger“ schulisch als „Output“ an die Gesellschaft übergeben zu können, welcher – nach direkt anschließendem „Feintuning“ – durch Ausbildung oder Studium aktiv-gestalterisch am Wertschöpfungsprozess des Kulturprogramm teilnehmen kann. In gelebter Schulpraxis wurde so noch einem Leistungsnarrativ gefolgt und basal die Konditionierung von Basiswissen, zumindest der Erwerb von Grundlagenwissen in den Fächern Deutsch, Mathematik und erster Fremdsprache als fundierte Basis für den nahtlosen Übergang in den tertiären Ausbildungsbereich angestrebt. Schulnoten wurden nicht „geschönt“, Klassenarbeiten nicht wiederholt, wenn sie schlecht ausfielen. Schlechte Noten waren kein Stigma, sondern Ansporn. Gute Schulnoten schienen noch erstrebenswert und entschieden wie selbstverständlich über jährliche Versetzungen und den späteren Berufseintritt oder über die Aufnahme eines Studiums.
Nachhilfe vor diesem früheren schulischen Hintergrund war in erster Linie das Schließen von entstandenen Wissenslücken im „Problemfach“. Diese Lücken waren vor dem Hintergrund einheitlicher Lehrpläne und des noch üblichen Sitzenbleibens schnell zu identifizieren und im jeweiligen Fach in der Kausalverknüpfung maximal 12 Monate groß – sonst wäre die Versetzung ja schon letztes Schuljahr gefährdet gewesen. Ein erfahrener Lernberater konnte also durch gezielte Regressfragen die Fachlücken thematisch klar ermitteln, welche dann auch schon ein junger, durchschnittlich gebildeter Student nach entsprechender Vorgabe schnell und zügig schließen konnte. Nachhilfe war nur übergangsweise und zeitpunktbezogen notwendig, die Wissenslücke ließ sich eng umreißen und der Schüler konnte nach dem Schließen dieser im Problemfach dem Unterrichtsgeschehen wieder folgen.
Durch die PISA-Studien kam es im deutschen Bildungssystem zu einem Paradigmenwechsel: Die Bildungskommission legte 2004 fest, dass Deutschland eine Wissensgesellschaft sei, in der nicht mehr die Basiswissensvermittlung und „stumpfes Auswendiglernen“ im Vordergrund des schulpädagogischen Handels stehen sollte, sondern das „individualisierte, selbstverantwortete und lebenslange Lernen“. Der Kompetenzerwerb sollte hinfort das neue Paradigma an Schulen sein. Die Begriffe, Bildung, Lernen und Wissen wurden der Kompetenz untergeordnet, der Bildungsbegriff noch stärker individualisierend interpretiert – unabhängig divergierender Bedarfe des Kulturprogramms.
Kultus- und Bildungsministerien strukturierten schulische Bildungsvermittlung um: Weg vom konditionierten Basiswissen nach Bundesland-einheitlichen Lernplänen, welche noch kleinteilig und verbindlich im Detail Themen klar definierten, weg von einheitlichen und verbindlich vorgegebenen Lehrbüchern und Unterrichtsinhalten hin zur „selbstverantworteten Schule“, welche aus einer Vorgabe eines „Bildungsrahmenplanes“ dann jede für sich individuelle und schulinterne Fachcurricula unter Berücksichtigung des sozio-kulturellen Faktors der jeweiligen Einzugs-Schülerschaft erstellt, hin zu einer „lernfeldorientierten Kompetenzvermittlung„.
Die Lehrerrolle an Schulen wandelte sich weg vom „Unterweiser“ und „Konditionierer“ von Basiswissen, welche die Lerngruppe noch mitnahm, hin zum „Lernfeldvorsteller“ und „Sozialarbeiter“. Die Verantwortung des schulischen Wissenserwerbs liegt heute so primär bei den Aktanten, schulisch also bei den Schülern selbst.
In Zeiten der Abschaffung eines breiten, differenzierten Schulangebotes werden die Lerngruppen in den Klassen immer heterogener, weshalb Schulen geradezu zwangsläufig einer eher sozialpädagogischen Metanarrative im Unterricht folgen müssen, denn die Verlängerung der Schulverweilzeiten, die Inklusion und Sozialisation von Schülergruppen stehen heute in Regelschulen im Vordergrund schulpädagogischen Handelns. Eine reine Leistungsnarrative, welche sich an Graden der Wissensvermittlung dokumentiert durch Schulnoten völlig unabhängig von Herkunft und kulturellem Hintergrund orientiert, tritt vermehrt in den Hintergrund.
Das unterdurchschnittliche Schulleistungen sanktionierende „Sitzenbleiben“ wurde de facto abgeschafft und Schulwechsel-Möglichkeiten stärker eingeschränkt.
Der integrativ-soziale Aspekt des jeweiligen Individuums steht so heute als Bildungs-Hegemon im Handlungsvordergrund an staatlichen Regelschulen, weniger die „Vorbereitung auf die kritisch-aktive Teilhabe am Wertschöpfungsprozess des Kulturprogramms“.
Die Bildungsschere öffnet sich so immer weiter, denn Bildungsgerechtigkeit herzustellen, wird so eher erschwert. Im tertiären Bildungsbereich kämpft die Gesellschaft daher mit Minderqualifikationen und zum Teil signifikanten Abbruchquoten: 32-38,5% der Azubis im dualen Ausbildungssystem brechen ihre Berufsausbildungen ab, gute 45.000 Lehrstellen konnten 2016 gar nicht mehr besetzt werden, zumeist weil die Bewerber nicht ausreichend qualifiziert waren. Die Abbruchquote von Studenten an bundesdeutschen Hochschulen liegt bei etwa 40% im Durchschnitt, in den sogenannten MINT-Fächern sogar noch höher.
Universitäten gehen mittlerweile dazu über, dem eigentlichen Studium vorgeschaltete Pro- und Prä-Semester anzubieten, um Abiturienten überhaupt auf ein Studiums-Eingangsniveau zu hieven, die Industrie- und Handelskammern institutionalisieren für Ihre Mitgliedsfirmen eigene Stützkurse, die Kommunen implementieren Projektschulen, um Schulabgänger noch im Nachgang zu einem qualifizierenden ESA, MSA oder einem Ausbildungsabschluss unter staatlicher Obhut zu verhelfen.
Vor diesem Bildungshintergrund muss auch eine innovative Nachhilfe dem neuen politisch oktroyierten Bildungsparadigma folgen. Daher ist unsere professionelle ABACUS Nachhilfe heute eher eine längerfristige, zeitraumbezogene Schulbegleitung, enthält viele Aspekte eines individuellen Coachings und einer grundlegenden Bildungsvermittlung: Neben der – nach wie vor notwendigen – Konditionierung von Basiswissen, welche durch das Abschaffen von Klassenwiederholungen zwangsläufig mit ansteigender Klassenstufe immer umfänglicher ausfällt, steht heute vielfach die Befähigung der Schüler zum selbstständigen, interdisziplinären Erarbeiten von Wissen im Vordergrund der institutionellen Unterstützung.
Durch Vermittlung von Lern- und Arbeitsstrukturen neben der – nach wie vor erforderlichen – Konditionierung von Basiswissen ist es heute so eher die Hinführung der Schüler zu einer Autodidaktik, orientiert am bildungspolitisch angestrebten Ziel des individualisierten, selbstverantworteten und lebenslangen Lernens.
Die Entwicklung hin zum selbstständigen individualisierten Lernen, weg vom Abfragewissen, scheint mir doch sehr erstrebenswert. Basiswissen sollte dabei natürlich nciht auf der Strecke bleiben.
Wenn man schulisch andere Schwerpunkte setzt, im Bewerbungsprozess aber noch nach alten Mustern Wissen abgefragt wird, wundern einen auch die sogenannten weniger qualifizierten Schulabgänger nicht.
Wie sich allerdings daraus schließen lässt, dass „der integrativ-soziale Aspekt des jeweiligen Individuums […] heute als Bildungs-Hegemon im Handlungsvordergrund an staatlichen Regelschulen [steht], weniger die „Vorbereitung auf die kritisch-aktive Teilhabe am Wertschöpfungsprozess des Kulturprogramms“ „, kann ich gerade noch nicht nachvollziehen.
Liebe BugaSi: Wenn das Kulturprogramm hohe Abbruchquoten im tertiären Bildungsbereich verzeichnet und gleichzeitig 43.500 Ausbildungsplätze in Deutschland unbesetzt bleiben, ist die Aufgabe der Sekundarschulen auf Vorbereitung von Teilhabe am Wertschöpfungsprozess m.E. nicht so wirklich als erfüllt zu betrachten. Da Regelschulen durch den Ganztag heute längere Schulverweilzeiten (nicht etwa mehr Unterricht) als früher haben, muss in logischer Kausalverknüpfung der pädagogische Handlungsschwerpunkt derzeit ein anderer sein… 😉
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