Am 25. Februar wurde in Berlin die Studie „Eltern-Lehrer-Schulerfolg“ vorgestellt und auch hier im Nachhilfe News Blog haben wir uns schon mit einigen Aussagen der Studie auseinander gesetzt. Die Studie des BMFSFJ enthält unseres Erachtens – wie schon erwähnt – einigen bildungspolitischen Sprengstoff, weshalb wir eigentlich erwartet hätten, dass hier ein „Sturm durch den Blätterwald“ der Medien geht. So wirklich viel ist bisher nicht passiert: Zwar wurde von einigen, wenigen Medien das Thema „Mütter als Hilfslehrer“ aufgegriffen, ferner ist das Sitzenbleiben oder eben keine Klassenwiederholungen noch Thema, dieses aber weniger wegen der Studie, als vielmehr bedingt durch die Tatsache, dass einige Bundesländer Selbiges abschaffen wollen.
Keines der Medien greift das Meta-Thema auf, welches sich wie ein roter Faden durch die Studie zieht:
Eltern und Schule / Lehrer ziehen nicht mehr an einem Strang und haben an einander scheinbar völlig unterschiedliche Erwartungshaltungen. Die Fronten scheinen sich mittlerweile soweit verhärtet zu haben, dass hier kein Miteinander, sondern in vielen Bereichen seit geraumer Zeit gar ein Gegeneinander (Lehrer gegen Eltern, Eltern gegen Lehrer) herrscht.
Die Bildungspolitik hat bundesweit und in den Ländern mit dem Reformschub nach PISA (Reformitis) nicht etwa für gesellschaftlich notwendig gewordene Annäherung gesorgt, sondern, so hat man den Eindruck, eher zur Entfremdung und Polarisierung und nicht zu einem Konsens beigetragen. Der Politiker schaut beispielsweise nach Finnland: „Oh, toll. Hier werden Lernfelder abgearbeitet und Kompetenzen vermittelt und das klappt. Machen wir das doch auch in Deutschland!“
Aber Finnland hat eine völlig andere Demoskopie: Zum Beispiel liegt der Anteil von nicht finnisch-Muttersprachigen Schülern unter 2%. Dort gibt es ein Migrationsproblem schlicht nicht. In Hamburg liegt der Anteil von Schülern an der Grundschule mit Nicht-Deutsch als Muttersprache bei 46% und steigend…
Abschaffung des dreigliedrigen Schulsystems, Einführung der Inklusion (Berlin und Hamburg), Verkürzung des Gymnasiums auf 8 Jahre, Verlängerung der Primarstufe auf sechs Jahre (Hamburg), Einführung der Ganztagsschule, Abschaffung des Sitzenbleibens (Hamburg), Einführung des lernfeldorentierten Unterrichtes, Umstellung von stringenten Lehrplänen mit in den Bundesländern vorgeschriebenem Lehrmaterial hin zu „weicher“ formulierten Bildungsplänen mit einer Lehrmittelfreiheit, um nur Einige der letzten Reformen zu nennen, über die natürlich auch heftig gestritten wurde beziehungsweise wird.
Natürlich setzt jede Bildungsreform einen gesellschaftlichen Handlungsbedarf voraus und Bildungspolitikern kann sicher nicht unisono unterstellt werden, dann nicht aus einem begründeten Sachzwang heraus zu handeln.
Wenn zum Beispiel eine Schulart Hauptschule zu einer „Resteschule“ verkommt, das Image geschädigt ist und so der eigentliche Zweck (praktische Vorbereitung auf eine technisch-gewerbliche Ausbildung) nicht mehr erreicht werden kann, muss Bildungspolitik natürlich handeln. Aber ob das bloße Abschaffen einer Schulform schon die Ursachen bekämpft, warum die Hauptschule so nicht mehr gesellschaftlich tragbar war?
Der inklusive Unterricht (Gemeinsame Beschulung von behinderten und nicht behinderten Schülern) wurde in Hamburg schnell eingeführt. Macht es nicht vor einer solchen Einführung Sinn, sich Gedanken zu machen, welche Bildungsfolgen das haben wird? Für die existenten Förderschulen, die nun aufgelöst werden, für die Personalausstattung der Regelschulen, für die anderen Unterrichtsanforderungen der Lehrkräfte, die nicht auf Sonderschullehramt studiert haben und somit keine wissenstheoretische Grundlage haben, effizient mit Schülern mit sonderpädagogischem Bedarf umzugehen? Eine einzige Fortbildung für den Deutschlehrer ersetzt hier keinen kompletten Studiengang und die stundenweise Beiordnung von Sonderpädagogen keinen sinnvollen Tagesunterricht für Schüler und Schülerinnen mit besonderem Förderbedarf.
Inklusiver, barrierefreier gemeinsamer Unterricht ist grundsätzlich zu bejahen und einem rollstuhlfahrenden Schüler muss ermöglicht werden, auch in den Chemieraum im dritten Stock zu kommen! Auch auf Schüler mit Sinneseinschränkungen (Hörschädigungen, Sehbehinderungen) kann sich eine Regelschule sicher im Unterricht einstellen. Aber massiven Störungen des Unterrichtbetriebes durch verhaltensauffällige Schüler entsprechend zu begegnen, dafür fehlen Regelschulen häufig die Ressourcen: Man stelle sich einen Schüler mit massiver Hyperaktivität in einer Lernsituation oder bei einer Klassenarbeit im Regelschul-Klassenverband vor… Hier kann eine im Klassenverband angestrebte Kohäsion auch zu Ausgrenzung und Aggression führen. Von der regelgerechten Umsetzung der Bildungspläne für die gesamte Lerngruppe mal ganz zu schweigen…
Eltern sind frustriert, weil bei vielen der Eindruck entstanden ist, dass deutsche Schulreformen „mit der heißen Nadel gestrickt“ worden sind, scheinbar nur Verwaltungskosten einsparen sollen und Schulen nicht mehr Wissen vermitteln, sondern nur noch Lernfelder zur Selbsterarbeitung „vorstellen“.
Beibringen und vertiefen soll der Schüler mit Mutti zu Hause. Aber die gut ausgebildete Frau Mama soll doch bitte auch in den volkswirtschaftlichen Werteprozess eingegliedert werden und sich gegen Geld als Angestellte in der freien Wirtschaft verdingen. Wie geht denn das zusammen? Bildungspolitische Planlosigkeit wird durch operative Hektik ersetzt, wie böse Zungen sagen würden.
Lehrer und Lehrerinnen sind frustriert, weil eine politisch nicht gänzlich durchdachte Schulreform die Nächste jagt, weil Pädagogen nicht mehr Wissen vermitteln können, weil sie primär als Sozialarbeiter und Konfliktlöser tätig sind, weil manche Schüler nicht mal mehr die einfachsten Benimmregeln beherrschen, weil Lehrkräfte ständig als sinnvoll erprobte Methodik und Didaktik auf Grund neuer bildungspolitischer Vorgaben „über den Haufen werfen“ müssen. Welcher Lehrer macht denn ganz freiwillig über 30 Dienstjahre einen binnendifferenzierten Unterricht für fünf Lerngruppen in derselben Schulstunde, wenn er nur für einen Unterricht bezahlt wird? Da braucht es dann schon viel Altruismus, gepaart mit einer gehörigen Portion Masochismus und Selbstverleugnung…
Das Problem liegt weniger in einer einzigen nicht durchdachten Schulreform „vom grünen Tisch aus“. Nein: Hier driften für unser Land so wichtige Institutionen wie Staat (Bildungspolitik) und Eltern auseinander und das ist die Misere.
Der Erziehungs- und Bildungsauftrag ist aufgeteilt (Artikel 6 und 7 des GG) zwischen Familie und Staat. Beide können Fehler machen. Ja. Aber wenn Schule und Eltern frustriert sind, ist das nicht zielführend!
Deutschland verfügt leider nicht über reichliche Bodenschätze wie Gold, seltene Erden oder Erdöl, von denen wir durch den Verkauf an andere Länder sorgenfrei existieren können. Wir haben hier in Mitteleuropa nur unser an unsere Kinder weiterzugebendes geistiges Potenzial, aus dem wir Wertschöpfung betreiben können. Die globalisierte Welt ist eine große, (böse) Leistungsgesellschaft und unsere Kinder müssen daher Wissen vermittelt bekommen, denn Wissensvermittlung und daraus resultierende Bildung begründet immer letztendlich gesellschaftlichen Wohlstand.
Dazu ist es aber notwendig, dass Schule (besser Bildungspolitik) und Eltern an einem Strang ziehen können und die Bildungsschere sich nicht weiter öffnet. Und ob das „Pushen“ der Abitur-Quote auf 50% bundesweit hier ein uns gesellschaftlich weiterbringender Wert ist? Wirken wir der bildungspolitischen Entfremdung entgegen.
Wir zitieren mal einen Bildungsfachmann aus einem anderen Bundesland:
„Bei uns in NRW verfolgt die Schulministerin den gleichen Ansatz: Sitzenbleiben ist blöd und gehört abgeschafft. Dies soll erreicht werden durch „individuelle Förderung“, die es erst gar nicht zu Leistungseinbrüchen kommen lassen soll. Hört sich klasse an, grenzt aber meines Erachtens an die Unterstellung, dass das geschätzte Publikum sowieso grenzdebil ist: Wie können Schüler in Klassen mit bis zu 34 Schülern individuell gefördert werden, wenn noch nicht einmal der „normale“ Schulstoff adäquat durchgenommen werden kann, ganz zu schweigen vom Unterrichtsausfall, der dadurch verursacht ist, dass die Vertretungsreserve einer Schule auf Null zurückgefahren wurde? Das passt nahtlos in die Ideologie: Was nicht alle können, darf keiner können.
Im Endeffekt werden wir ein weiteres Absinken des Leistungsniveaus erleben mit der Folge, dass eine ganze Generation einen bunten Strauß von „Kompetenzen“ aufweist, diese aber nicht mit Wissen oder Fähigkeiten unterlegen kann und daher im Berufsleben grandios scheitern wird. Amerika macht es vor: Wer nicht von seinen Eltern auf eine teure Privatschule oder –universität geschickt werden kann, landet im Mittelfeld der Verfügungsmasse der Unternehmen (hire and fire). Das ist das Gegenteil von dem, was die Sozialromantiker vom Schlag Löhrmann (Schulministerin NRW) sich von ihren Nivellierungsbestrebungen erhoffen.“
Das ist zwar nun politisch weniger korrekt, zeigt aber brutal die gesellschaftlichen Folgen auf. Die Autoren der Studie Eltern-Lehrer-Schulerfolg haben es zum Abschluss ihrer Studie in schönere, entspannte, allgemeinere Fragesätze gepackt.
Guten Morgen,
eine weitere Studie, die bestätigt, was alle an Schule Beteiligten längst schon wissen … da läuft etwas gewaltig aus dem Ruder, aber niemand scheint das Steuer in die Hand nehmen zu wollen.
Nachdem ich mich seit 6 Jahren intensiv mit dem „Schulthema“ befasse (als Mutter eines inzwischen 13jährigen, also „aus der Not heraus“), ist mir aufgefallen, dass „einfach Licht in’s Dunkel“ zur Auflösung verhelfen kann:
http://place2grow.de/exklusive-vorab-leseprobe-aus-das-dumme-schulerlein/
Wenn Sie mir eine Rezension versprechen, dann schicke ich Ihnen gerne das komplette Buch 🙂
Herzliche Grüße, Ulrike Sennhenn