alle Jahre wieder wird über das Sitzenbleiben, die Klassenwiederholungen diskutiert und auch in der Wissenschaft scheiden sich hier die Geister: Studien (Klemm) haben vorgerechnet, dass Klassenwiederholungen Geld kosten, ca. € 5000,– je Schüler sollen anfallen. Klassenwiederholungen alleine entfalten wenig pädagogische Effekte (John Hattie), das Sitzenbleiben trennt den Schüler von seinem bisherigen Klassenverband / Lerneinheit und wirkt gar negativ stigmatisierend, so zusammengefasst häufig zitierte wissenschaftlich-pädagogische Thesen.
Aber ist das als Antwort ausreichend, um beurteilen zu können, ob Klassenwiederholungen Unsinn oder pädagogisch Sinn stiftend sind? Es ist wohl doch komplizierter und differenzierter zu sehen.
Der ökonomische Aspekt:
Klassenwiederholungen kosten Geld, Zeit und Ressourcen, weshalb Hamburg das Sitzenbleiben bis Klasse 9 (nahezu gänzlich) abgeschafft hat. Jedoch gilt es auch, soziale Folgekosten für das Gemeinwesen in eine solche Rechnung mit einzubeziehen, rein nur Opportunitätskosten aus der Blockierung von Ressourcen der Primar- und Sekundarstufe zu betrachten, greift volkswirtschaftlich in einer Gesamtbetrachtung zu kurz. Das „Durchschleusen“ eines Schülers bis zum ESA / MSA, der diesen dann mit „geschönten“ Noten erhält ist noch kein Garant für die erfolgreiche Integration des Schülers in den volkswirtschaftlichen Wertschöpfungsprozess: Hier steht nach der Schule zunächst ein Bewerbungsgespräch / ein Einstellungstest an, von dessen erfolgreichem Abschluss der Antritt einer Lehr- oder Arbeitsstelle abhängt.
Scheitert der „Mathe G3, Deutsch G3, Englisch G3 Schüler“ dann in diesem Auswahlprocedere der freien Wirtschaft, trägt die dann deutlich höheren Folgekosten (Hartz IV, zusätzlich zu finanzierende Integrations- und Qualifikationsmaßnahmen) die Kommune / die Wertegemeinschaft. Es ist also ein – häufig noch kumulierendes – „Verschieben“ von Kosten auf der Zeitachse, nicht etwa eine volkswirtschaftliche Kosten-Ersparnis für das Bundesland.
Weitere Aspekte:
Es ist sicher nicht zu leugnen, dass die „nackte“ Klassenwiederholung an sich als isolierte Maßnahme nicht zwangsläufig zu einer Leistungs- / Kenntnisverbesserung (John Hattie) des Schülers führt.
Ebenso kann das Herausnehmen eines Schülers aus einer homogenen Lerneinheit durch das Sitzenbleiben sowohl positive, als auch negative psychologische Auswirkungen beim einzelnen Schüler haben.
De facto soll Schule aber mit Bildung und Wissensvermittlung auf die aktive Teilnahme an einem gesellschaftlichen Wertschöpfungsprozess vorbereiten, das impliziert schon per se die Zugrundelegung eines Leistungsgedankens. Auch schulische Leistungen müssen daher von den Notengebenden „belobigt“ und „sanktioniert“ werden können.
Zunächst sollte daher von Lehrkörper und Erziehungsberechtigten die Ursache ermittelt werden, warum der Schüler dem Klassengeschehen nicht in erfordertem Rahmen folgen konnte. Vielfach können solche Ursachen auch in Bereichen liegen, die von den Pädagogen und der Schule nicht unmittelbar beeinflusst werden können (Pubeszenz, Veränderung der Familiensituation, private Schicksalsschläge, Krankheit etc.)
Erst nach einer solchen individuellen Ursachenfeststellung kann eine eventuell sinnvolle Klassenwiederholung mit ergänzenden, den Schüler stützenden Maßnahmen flankiert werden, zum Beispiel über zusätzliche psychologische Betreuung, eine Lernzielvereinbarung und -kontrolle (!) oder eine die schulischen Lernanforderungen unterstützende professionelle Nachhilfe.
Subsumierend kann festgehalten werden, dass pauschale Klassenwiederholungen, ebenso wie das generelle Abschaffen dieser „Ultima Ratio“-Möglichkeit einer Schule durch die Politik eines Bundeslandes wohl nicht der jeweils individuellen Situation eines einzelnen Schülers gerecht werden, weshalb die Bildungspolitik dem betreuenden Lehrkörper im Interesse des Schülers diese Möglichkeit erhalten und nicht per „Ordre de Mufti“ vom „grünen Tisch“ aus untersagen sollte.
4 Gedanken zu „Schule – macht Sitzenbleiben Sinn?“