Auch in Bayern steht nun die Verkürzung der Gymnasium-Laufzeit von G9 auf G8 mit Beginn des Schuljahres 2010/2011 an: Zu diesem Anlass haben wir ein Interview in der Passauer Neuen Presse (PNP) entdeckt, welche sich mit Schule und auch mit der in Bayern anstehenden Laufzeitverkürzung des Gymnasiums von G9 auf G8 beschäftigte und die Aussagen der Experten kommentiert.
Die von der PNP Befragten waren keine Politiker oder „Nobodies“, sondern Koryphäen der Deutschen Bildungslandschaft, unter anderem Herr Hans-Peter Meininger, der Bundesvorsitzende des Deutschen Philologenverbandes und der langjährige Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Josef Kraus (seit 1987!). Nun mag man als lokalpatriotisch behafteter Norddeutscher sagen: „Was gehen uns hier die Schulen der Schuhplattler da unten an?“ 🙂
Jedoch: Die befragten Experten blicken – schon auf Grund Ihrer Funktionen – weit über den bajuwarischen Weißwurstäquator hinaus und viele Aussagen lassen sich auf die Schullandschaft Hamburgs und Schleswig-Holsteins übertragen, welche die Laufzeitverkürzung der Gymnasien ja bereits eingeführt hat. Außerdem sind beide Herren noch „an der Basis“ als Rektoren und Direktoren an Gymnasien tätig, also keine „Schreibtischtäter“… Hier einige herausgegriffenen wörtlichen Aussagen der Experten, ergänzt um Kommentare der ABACUS Nachhilfe Hamburg und Pinneberg:
PNP zu Unterrichtsausfall und Lehrerqualität:
Kraus: Wenn ich an meine eigene Schule schaue, dann habe ich bei 1500 Stunden Unterricht rund 100 Lehrerstunden mit selbst angeworbenen Leuten besetzen müssen. 100 Lehrerstunden entsprechen etwa vier Vollzeitstellen oder in unserem konkreten Fall 15 Teilzeit-Leuten. Darunter sind Pensionisten, die nur sechs Wochenstunden ohne Abzüge arbeiten dürfen, Lehrer anderer Schulformen, aber auch Ingenieure und Informatiker, eine Bildhauerin und eine Silberschmiedin, also Leute ohne akademische oder pädagogische Ausbildung. Positiv ausgedrückt: Die Gelder für diese Kräfte stellt das Ministerium bereit. Aber die Köpfe eben nicht. Und das ist Flickwerk. Die Politik hat deutschlandweit in der Personalplanung an den Schulen versagt. Ich gebe zu, dieses Notprogramm läuft auf eine Entprofessionalisierung des Lehrerberufs hinaus. Aber es ist immer noch besser als größere Klassen und Ausfall von Unterricht.
ABACUS Nachhilfe Hamburg: Liebe Schüler und Eltern: Macht Euch bitte von dem Gedanken frei, dass der Fachlehrer, der unterrichtet, dieses Fach auch stets studiert hat… Auch nicht an Schulen in Hamburg oder dem Kreis Pinneberg!
PNP zur Lehrer-Versorgungssituation an Schulen, insbesonders in den Naturwissenschaften:
Meidinger: Dann müssen gute Lehrer bei entsprechender Bewerberlage auch über Bedarf eingestellt werden, damit wir später, wenn wieder Bedarf da ist, nicht – wie derzeit – jeden nehmen müssen, egal mit welcher Note. Und es müssen verstärkt Lehrer für den MINT-Bereich – also in Mathematik, Informatik und den Naturwissenschaften – geworben werden.
ABACUS Nachhilfe Hamburg: Zu dieser MINT-Forderung sind in unserem Blog schon früher mehrere Artikel erschienen, insbesondere von unserem Autor Prof. Hensel
PNP zu an Schulen vermitteltem Allgemeinwissen und Fertigkeiten im Fach Deutsch:
Kraus: Stimmt. Die Ausdrucksfähigkeit in der Muttersprache hat dramatisch gelitten. Da spielen sicher die neuen Medien eine Rolle. Aber das kommt auch daher, dass kein Land so rigoros das Fach gekürzt hat, in dem es um die Muttersprache geht. Nur ein Sechstel der Unterrichtsstunden in den ersten zehn Jahrgangsstufen gilt dem Fach Deutsch. Das Verständnis der Muttersprache prägt aber das Verständnis auch für die Naturwissenschaften.
Meidinger: Aber das ist nicht Schuld der Schulen, sondern der Politik. Andererseits: Welcher Jugendliche schreibt denn heute noch – außerhalb von Chatrooms und Facebook? Oder wer nimmt sich noch Zeit für die tägliche Lektüre eines Buchs oder einer Zeitung?
ABACUS Nachhilfe Hamburg: Stehen hier die Schulen oder die Erziehungsberechtigten in der Verantwortung?
PNP zur Verkürzung der Laufzeit am Gymnasium auf G8:
Meidinger: Untersuchungen haben ergeben, dass Deutschland auch vor dem G8 schon wesentlich weniger Unterricht hatte als andere Länder. Jetzt ist die Lücke noch größer geworden. Wir haben bis zum Abitur etwa 9500 Vollzeitstunden Unterricht, in den anderen Industriestaaten sind es bis zu 12500 Stunden. Uns fehlt die Zeit zum Einüben. Die Förderstunden lösen nicht jedes Problem – auch weil da häufig gerade die Kinder drin sitzen, die es gar nicht so nötig haben. Daher kommen auch die Elternklagen, dass daheim noch so viel nachgelernt werden muss.
Kraus: Die Debatte um Schülerstress wird nur in Deutschland geführt. In anderen Ländern, etwa in Frankreich mit seiner Abbrecherquote von 60 Prozent und viel mehr Druck, gibt es diese Diskussion nicht. Unsere Lehrpläne sind doch teilweise viel zu stark entrümpelt worden. Da wurde ein Drittel des Wortschatzes gestrichen, und das in Zeiten der Globalisierung. Da hat man in den Naturwissenschaften Inhalte von der 9. in die 7. Klasse verlagert, die die Kinder in diesem Alter noch gar nicht erfassen können. Die Eltern und ihre Funktionäre tragen jede durch Proteste erreichte Stundenkürzung wie eine Trophäe vor sich her. In Bayern begnügt man sich mittlerweile mit bundesweiten Minimalstandards. Wir sind bei 265 Jahreswochenstunden – also Wochenstunden über zwölf Jahre Schulzeit – angelangt. Was für ein Abstieg! Früher waren wir mal an der Spitze mit 286 Jahreswochenstunden. Jede Stunde weniger geht aber zu Lasten des schwächsten Drittels der Schüler. Die Guten schaffen das Pensum auch in kürzerer Zeit, das mittlere Drittel muss sich anstrengen, packt es aber auch. Aber dem unteren Drittel fehlt jede Stunde zum Üben.
Kraus: Ich sehe im G8 auch massive Auswirkungen auf das Schulleben. Das wird verarmen, weil keine Zeit mehr bleibt für Chor, Sport, Theater oder Wettbewerbe wie Jugend forscht.
Abschließender Kommentar der ABACUS Nachhilfe Hamburg:
In der BRD gibt es insgesamt einen Trend zur Schulzeitverkürzung und damit zur Ganztagsbeschulung, dem der Verfasser höchst kritisch gegenübersteht: Er belastet die Schüler zeittechnisch unangemessen, er verhindert Freizeitaktivitäten, er nimmt Erziehungsberechtigte aus der Verantwortung für ihre Kinder, er blockiert eigene Lern- und Nachbearbeitungszeiten der Schüler, er behindert nachhaltig das Sozialleben von Schülern außerhalb von Schule und Elternhaus und nimmt Breitensport- und Freizeitvereinen in Deutschland die Grundlage: Der Tag hat nun mal nur 24 Stunden und ob ein Jugendlicher mit 17, 18 oder 19 Jahren die Schullaufbahn beendet, ist unserer Ansicht nach schlicht unerheblich…
Zur Information: In Deutschland beträgt die Nachhilfequote über alle Schularten seit Jahren ca. 20-25%. In Frankreich, das nur das Ganztagsschulsystem kennt, bis zu 87% 🙂
(leider nicht mehr frei zugänglich…)
Das komplette Experten Interview zur Schulsituation in Deutschland können Sie auf den Seiten der PNP im Detail nachlesen.
Ein Gedanke zu „Schule Hamburg: Gymnasium: Verkürzung auf G8, Expertenrunde bei der PNP“