Richtiges, fehlerfreies Schreiben gehört sicher unbestritten zu den Kulturtechniken, die ein Schüler erwerben sollte, um später erfolgreich am gesellschaftlichen Wertschöpfungsprozess nach der Schule teilnehmen zu können. Mehr und mehr wird darüber lamentiert, dass auch schon Studentinnen und Studenten nicht mehr richtig Deutsch schreiben können. Selbst Hochschulen bieten mittlerweile Deutschkurse für ihre Deutsch-muttersprachlichen Kommilitonen an, um diese Lücken zu füllen.
Interessant sind nicht die Wirkungen, die liegen ja „auf der Hand“, sondern die Ursachen. Sind diese bekannt, kann dagegen gesteuert werden und so andere Wirkungen erzielt werden.
Ganz am Anfang des Schreibprozesses steht die Entwicklung der Feinmotorik, um später überhaupt ein Schreibgerät im wahrsten Sinne des Wortes „handhaben“ zu können.
Früher bastelten viele Kinder schon vor der Einschulung zu Hause und mussten Mama auch beim Gemüseschnippeln helfen: Mädels fertigten Schmuckstücke selbst mit kleinsten Glasperlen an, strickten und häkelten. Jungs spielten mit Murmeln und Kreiseln und hatten bereits vor der Einschulung ein Taschenmesser, mit dem geschnitzt wurde. Mädels fertigten wunderschöne Scherenschnitte an und Jungs bauten Modelle aus Holz oder später aus kleinsten Plastikteilen zusammen.
In der Grundschule wurden diese Fähigkeiten weiter „beschult“: Der Verfasser hatte an seiner Hamburger Grundschul-Regelschule ein Fach namens „Werken“, in dem uunter anderem – von ihm ungeliebterweise – gestrickt und gehäkelt werden musste. Auch wurden Linoleum-Schnitte mit kleinen Sticheln angefertigt. Ebenfalls mussten wir „Schwungübungen“ im Schreiben in Schreibschrift machen (seitenweise Schreibschrift „M’s“ und „O’s mit Schweineschwänzchen“). Wir hatten ein Deutsch-Teilfach namens „Schönschrift“, welches uns dazu anhielt, entsprechend korrekt und ordentlich zu schreiben. Auch schrieben wir vom ersten Tag an Schreib- und keine Druckschrift. Diese natürlich mit Füller und den segensreichen Tintenkiller gab’s in der Grundschulzeit noch nicht. Machten wir dann einen Fehler, musste die ganze Zeile sauber mittig durchgestrichen und komplett nochmal abgeschrieben werden.
Zugegebenermaßen waren nicht alle diese Dinge dazu geeignet, bei uns Schülern im Fach Deutsch beziehungsweise Schreiben eine intrinsische Motivation zu erzeugen und subjektiv die „Lust am Lernen“ ins Unermessliche zu steigern, aber es waren alles Lernvorgaben, die die Feinmotorik, die Haptik und die Auge-Hand-Koordination schulten und verbesserten.
Aber wir bemühten uns – faul wie wir waren – den Lernvorgaben zu genügen. Schon allein, um das mühsame „Nochmal abschreiben“ aus besagter Faulheit heraus und weniger aus Erkenntnisinteresse (!) schlicht zu vermeiden und freuten uns, wenn unsere Leistung ohne Beanstandung Gefallen vor den gestrengen Augen unser Grundschullehrerin, Frau Foest, fand und ein „Ganz ordentlich, Kai“ ihren Lippen entwich ;-). Damit kein falscher Eindruck entsteht: Frau Foest war streng, aber absolut fair und gerecht. Sie hatte keine erkennbaren Lieblinge und wir hatten auch viel Spaß mit ihr. Aber wer ihr „dumm kam“, musste mit Nachsitzen oder Strafarbeiten rechnen…
Wettbewerb unter uns 34 Schülern in der Klasse wurde bei uns an der Schule nicht unterdrückt: Wir schrieben regelmäßig benotete Diktate, machten Rechen- und Schreibwettbewerbe mit Ehrungen, hatten Klassenspiegel, die jeweils Klassenbesten mit Namen (!) an der Tafel stehen und wussten ziemlich genau, wer in welchem Fach besser oder schlechter als man selber war. Es war keine „Eliteschule“, sondern schlicht die staatliche Grundschule Tornquiststraße in Hamburg-Eimsbüttel, in die der Verfasser im Sommer 1968 eingeschult wurde…
Schreiben und Lesen gehört immer seltener zu den signifikanten Lebensinhalten vieler Kinder und Jugendlicher, und auch die Eingangsvoraussetzungen der Primarstufe haben sich zu damals deutlich verändert:
Zum Beispiel sind über 50% der Hamburger Primarstufenschüler nicht mehr Deutsch-muttersprachlich und alle Grundschüler haben unisono einen höchst unterschiedlichen Entwicklungsstand in Begabung, persönlichen Fertig- und Fähigkeiten und sozialer Reife. Große Vielfältigkeit bedingt große Heterogenität.
Kleinere Klassen, möglichst individualisiertes Lernen, Schreiben mit Bleistift und Kuli statt mit dem Füller, andere Schreiblernmethoden wie „Lesen durch Schreiben“, die Abkehr von klaren, aussagekräftigen Noten, die Abschaffung von sanktionierenden Rechtsschreibüberprüfungen, kein Sitzenbleiben mehr, Umstellung von stringenten Lehrplänen hin zu sogenannten Bildungsplänen mit „Lernfeldern“ und Schreibschriftabschaffung sind letztendlich alles Versuche der Bildungspolitik, mit diesen veränderten Umständen des „Eingangsmaterials“ irgendwie klarzukommen.
Verständlich. Aber wirklich in allem zielführend im Hinblick auf das Erwachsenenleben? Denn am Ende einer jeden Schullaufbahn steht zunächst der Eintritt in das Berufsleben. Davor jedoch steht die Bewerbung und der Einstellungstest, der letztendlich nur mit manierlicher Rechtschreibung bestanden wird.
Rechtschreibung kommt von „recht Schreiben“, also korrekt schreiben. Nicht lautierend. Hier geben im Zweifelsfall Duden und Wahrig Auskunft. Und nur umgangssprachlich geht gelegentlich mal: „Gehst du Aldi?“, „Guggst Du, Digga“, „Hambuach“, „umme Egge“ und „anne Boine“. Ganz zu schweigen von der Hamburg-typischen Ausblendung des Genitivs ;-).
Und im Zweifel bleibt den Eltern noch die Alternative einer professionellen Nachhilfe in Deutsch.
Es braucht eben „Rechtschreibkompetenz“! Kompetenz setzt jedoch stets und immer sicher beherrschtes Basiswissen voraus. Um diese zu schaffen, haben Eltern 16 und Schulen nur 9 – 10 Jahre Zeit.
Ein Gedanke zu „Schlechte Rechtschreibung bei Schülern“