Gestern fand die re:learn-Konferenz in Berlin im Rahmen der re:publica 14 in Berlin statt. Natürlich ein „Must-Event“ für den Nachhilfe News Blog und alle anderen Nerds, die sich mit Bildung und digitalisierter Gesellschaft auseinander setzen. Digitale Technologien durchdringen unseren Alltag auf allen Ebenen. Das Internet verknüpft mittlerweile Lern-, Arbeits- und soziale Welten. Nur im gesellschaftlich basalen Vermittlungsbereich der Schule – dem wichtigsten, denn hier wird der Wissens-Grundstock unserer aller Zukunft gelegt – scheint er noch nicht so wirklich angekommen zu sein.
Unsere Bildungsministerin Prof.in Johanna Wanka postuliert 2014 als das „Jahr der digitalen Gesellschaft“ und die „re:learn 14“ machte den Teilnehmern auch deutlich, wie weit gesellschaftlich-ökonomischer Anspruch und (schulpolitische) Wirklichkeit in der Bildung unserer Kinder auseinander klaffen…
Das Motto „Into the Wild“ (engl.: Rein in die Wildnis) hätte auch – zumindest auf die schulische Realität bezogen – „Into the Ödnis“ lauten dürfen… Nun, der Satz ist vielleicht auch durch die Vorträge, Diskussionen beeinflusst und den Praxisbeispielen geschuldet, die aufzeigten, wie es denn tatsächlich funktionieren kann: Lernen und Bildung in und mit der Digitalisierung, im und am gesellschaftlichen Wandel teilhabend und aktiv gestaltend. Für Schüler, Schulen und Lehrer. Nutzbringend für unser aller Kulturprogramm.
Nordlicht Jöran Muuß-Merholz (bitte keine Angst vor langsamen Servern ;-)) als Conférencier leitete die einzelnen Programmpunkte ein. Der Einstieg von Prof. Max Woodtli, der nochmals darauf hinwies, dass Digitalisierung in Lernprozessen und Bildungswelten nicht zu einer „Digitalen Demenz“ führt. Sondern im Gegenteil dazu beitragen kann, dass die Abstraktionsebenen eher größer werden, war genau der richtige Appetitanreger und Horizonterweiterer für den Tag. Der Bruch „Subjekt“ und „Welt“ kann mit der Digitalisierung überwunden werden, so ein Credo von ihm.
Digitale Medien im Unterricht können zwar „schulische Belehrungskultur“ auch optimieren, aber eben genauso tradierte Denk und Lernmuster sprengen. Besonders wenn es gelingt, die Ebenen „Satz“ und „Gegensatz“ (z. B. „Google ist Teufelswerk“ vs. „Google ist ein Segen“) um die Ebenen „Sowohl als auch“ und „weder noch“ zu erweitern. Es ergäbe sich ein „Was ermöglicht mir das?“ zwischen den Handlungsebenen, was die momentane Bildungs-Polarisierung zwischen Verteufelung und Euphorisierung der Digitalisierung innerhalb der Gesellschaft weg vom „zweiwertigen Denken“ hin zur Nutzung von Synergieeffekten führen könnte.
„Think weird, think productive“ wäre wohl eine hier mögliche Subsumtion…
Diese Veränderungen und die neuen Arten von Wissen, Lernen und Denken finden in den meisten Bildungseinrichtungen im Moment leider noch kaum Beachtung. Zwar haben Schlagworte wie „E-Learning“, „Kompetenzorientierung“ und „Kreativität“ Hochkonjunktur. In der Praxis sucht man die dazu erforderliche neue Netz-Lernkultur – von wenigen Ausnahmen abgesehen – jedoch noch vergebens.
Eine Ausnahme: Wie’s geht, wenn’s denn geht – so mit schulischer Medienkompetenz, selbst verantwortetem Lernen und Medienkompetenz – demonstrierte eindrucksvoll der Vortrag von Schüler und Lehrern der Oskar-von-Miller-Schule in Kassel, die ihr innovatives Lernschrittkonzept vorstellten: Eine neue Lernkultur für Digitalisierung im Unterricht und ein selbstorganisiertes Lernen mit und in digitalen Medien. Eine der methodischen Grundbausteine ist das Bloom’sche Taxonomie-Modell als Kompetenzstufenmodell. Ihr Vortrag zeigte, wie individualisiertes und kompetenzorientiertes Lernen gelingen kann. Klappt allerdings laut Vortag nur mit engagiertem und innovativem Lehrpersonal:
Das „lebenslange Lernen“ wird an dieser Schule auch im LuL-Kollegium vorausgesetzt: „Lehrst Du noch oder lernst Du schon?“ ist nicht nur die „Headline“ des Vortrags gewesen, sondern auch Programm für das Lehrpersonal. Wie sagte der stv. SL Wilfried Dülfer so treffend: „30% der Kollegen und Kolleginnen sind „Feuer und Flamme“ für Digitalisierung und kompetenzorientiertes Lernen, 30% sind am Anfang noch unentschlossen und bei den restlichen 30% müssen wir abwarten, bis die endlich pensioniert sind.“ Tja, ‚rausschmeißen geht ja bei Verbeamtung nicht…
Teamgeist und die Abkehr vom Einzelkämpfertum der LuL ist laut der Schule der Kern der Veränderung in der Matetik des Lernens. Weg von der Autarkie der Lehrkraft, hin zum zeitlich flexiblen schulischen Lernbegleiter mit „Teamspirit“ auf Augenhöhe, der als Lerndienstleister auch außerhalb des Unterrichtes für seine Schüler erreichbar ist und nochmal mal für zwei Stunden zu seinen Schülern für ein „Input“ in die Schule kommt…
Die OVM-Schule hat ein funktionierendes (!) Netzwerk mit 800 PC’s und der Stadt eine zusätzliche 1,5 IT-Support Stelle abgetrotzt, in dem Sie der Politik den „schulischen IT-Supporter“ als Ausbildungsbild „verkauft“ hat. Spricht für Problemorientierung, Kreativität und Lösungskompetenz der Schule im Interesse der Schüler und gesellschaftlicher Bildung. Respekt! Ach ja, das schulische PC-Netzwerk entstand primär durch „Partners in Leadership“ mit Hilfe gutem Kommunikationsvermögens des engagierten Lehrkörpers ;-).
Natürlich kostet „Lernen mit neuen Medien“ die Bundesländer als Träger Geld. Treffend war hier eines der Schlussworte: „Nur eines ist billiger als Bildung: Keine Bildung!“
Die Angstkultur von Teilen der Gesellschaft und der Politiker gegenüber der Digitalisierung in Bildungssystemen – insbesondere an Schulen – gehört überwunden. Das Internet und die fortschreitende Digitalisierung werden das zentrale „Operating System“ unserer Gesellschaft bilden und auch zukünftig bleiben. Lern- und Kommunikationsprozesse werden signifikant – wenn nicht gar zu einem überwiegenden Anteil – hauptsächlich über Datenströme ablaufen.
Das zu negieren oder hiervor in einer Art „Vogel Strauß-Manier“ die Augen zu verschließen, bringt unsere Kinder nicht weiter und vernachlässigt bildungspolitisch auch den humanistischen Bildungsansatz: Die Beziehung von „Ich“ und „die Welt“ in der allgemeinsten, regsten und freiesten Wechselwirkung. Diese Interaktionen finden heute eben auch in digitalisierten Netzwerken statt.
Lässt die Bildungspolitik und unsere gesellschaftliche Executive, die Institution Schule, weiterhin digitale Angst- und Misstrauenskultur zu – die sich zum Beispiel in behördlichen Internetblockaden und Facebookverboten manifestieren – schränkt sie nicht nur das sich selbst oktroyierte Humboldt’sche humanistische Bildungspostulat der Freiheit ein, sondern nimmt sich auf Dauer auch selbst die Möglichkeit der gesellschaftlichen, politisch strukturierten Gestaltung der Implementierung von Medienkompetenz bei denen, welche unseren Fortschritt und gesellschaftliche Prosperität zukünftig tragen sollen und vernachlässigt somit den sich selbst auferlegten Bildungs- und Erziehungsauftrag nach GG Art. 7. Dann würden staatliche Bildungspolitik und Lehrer als Funktioner in der digitalen Netzwerkgesellschaft unter Umständen gänzlich obsolet, das Legen von Medienkompetenzen bliebe den Eltern überlassen oder es ziehen sich die Schüler ohne Supervision eben weiterhin in ihre eigenen, medialen Welten zurück.
So hätten wir den Bogen zum Motto der re:publica / re:learn14 wieder geschlossen: Die Schüler bleiben im Bereich digitale Medien und Netzwerk-Kompetenz im Wesentlichen ihrer eigenen Kreativität überlassen und sind dort, wo die Konvention in Berlin heute ist:
„Into the wild“ 😉
Gegen die lausige Akustik gab es Kopfhörer, für die Teilnehmer mit auditiven Wahrnehmungsstörungen standen Gebährdendolmetscher bereit. So, nun erstmal Schluss. Auch die anderen Sessions waren natürlich hochspannend, vielleicht dazu später noch ein Beitrag. Weiterführende Links zur re:publica 14, auch die Podcasts und streams einzelner Beiträge finden Sie über die Links in unserem ersten re:pubika 14 Blog Artikel, die Tonbeiträge gibt’s: hier.
Ein Gedanke zu „re:learn auf der re:publica 14 – Bildungslabor Schule in der digitalen Demenz?“