Gestern hat das IQB (das Institut für Qualitätsmanagement der Kultusministerkonferenz) die Ergebnisse des Bundesländervergleiches aus den Vergleichsarbeiten in den naturwissenschaftlichen Fächern bekannt gegeben. Wie erwartet rangiert Hamburg nicht unbedingt im oberen Leistungsdrittel und es wird im Netz mal wieder schockiert nach dem „Warum“ und „wieso“ gefragt. Da wollten wir uns am Freitag gemütlich und entspannt der eigenen Wissens- und Erkenntnisbildung hingeben und haben uns nach Süddeutschland auf einen Vortrag von Herrn Prof. Dr. Dr. Spitzer zum Thema „Lernen bei Schülern“ aufgemacht und sitzen heute schon wieder im Norden, ohne ihm auf die „Didacta“ nachzureisen. Was sicher auch Spaß gemacht hätte: Dem Mann kann man wirklich gut zuhören 😉
Nun denn: Von schulischen Leistungserhebungen werden wir ja momentan geradezu „bombadiert“ und auch kritischen Stimmen zu den Erhebungsverfahren und dieser Art von empirischer Bildungsforschung mangelt es ja nicht. Unbestritten bleibt aber, dass es beim „IQB-Ländervergleich 2012“ um ein zentralisiertes, standardisiertes, randomisiertes und validiertes (!), in allen Bundesländern gleiches Erhebungs- und damit auch Vergleichsverfahren handelt.
Und dort schneiden eben bestimmte Bundesländer unter gleichen Bewertungskriterien besser ab als andere. Hamburg schneidet in den MINT-Fächern in allen Bereichen unterdurchschnittlich ab. Das ist und bleibt ein Faktum. Und somit ist Hamburg eben rangtechnisch betrachtet hier eher à la Wallraff: „Ganz unten“ 😉
Doch warum ist das so? Das ist doch die Frage. Wir versuchen hier einmal, einige Problembereiche aufzuzeigen:
1. Heterogenität:
Eine „Schule für alle“ impliziert zwangsläufig Vielfältigkeit in Fähigkeiten und und Wissensständen der Schüler und damit eher eine Häufung auf dem unteren Drittel: a) Zwangsläufig kümmert sich ein „guter Pädagoge“ eher um die Schwächeren in seiner Lerngruppe. Dieser subjektive „menschlich-helfende Faktor“ ist in einem Sozialberuf schlicht Voraussetzung. Das schlechtere Schüler von guten Schülern „mitgezogen“ werden, ist eine Mär und sogenanntes „tutorielles Lernen“ hilft eher besseren Schülern, noch besser zu werden, als das es schwächeren Schülern hilft, Kenntnisse und Fertigkeiten zu erwerben (vgl. ZEP 2011-25 (3), S. 358f.)
2. Fachliche (!) Professionalität des Lehrpersonals:
Ein fachfremder Einsatz von Lehrpersonal korreliert ab der Mittelstufe negativ zu erzielbaren Unterrichtsleistungen (vgl. „Ostlehrer sind besser„, ZEIT online)
3. Abkehr vom Leistungsprinzip:
Eine Abschaffung von stringenter Benotung und des Sitzenbleibens führt nicht zu einer Leistungssteigerung bei SuS
4. In den MINT-Fächern, insbesondere Mathematik funktioniert auswendig lernen nicht:
Mathematik baut zwar modular aufeinander auf, vernetzt sich aber spätestens ab der 8. Klassenstufe. Da „muss man auf was kommen“ und „verstehen“, auswendig die binomischen Formeln herbeten zu können, reicht nicht. Hier setzt dann spätestens die Anwendungskompetenz ein…
5. Demoskopische Besonderheit:
Hamburg hat einen signifikant hohen Anteil SuS, deren Muttersprache nicht mehr Deutsch ist. Das reflektiert logischerweise auch in den naturwissenschaftlichen Schulunterricht, wenn Aufgabenstellungen mit zunehmender Klassenstufe textlastiger und umfangreicher werden und es am „sinnentnehmendem, genauem Lesen“ hapert.
6. Lernfeldorientierung:
Die sogenannte „Lernfeldorientierte Kompetenzvermittlung“ stellt in der derzeitigen Art und Weise der praktischen Umsetzung keine Konditionierung von Basiswissen dar. Somit werden die Lücken im Basiswissen von Klassenstufe zu Klassenstufe immer größer, was sich in den MINT-Fächern, welche keine Inselfächer sind, schlicht in Unwissen äußert und in schlechten Noten manifestiert.
7. Unterricht in Schul-Doppelstunden
In Schuldoppelstunden in einem Gruppenunterricht – wohlgemerkt: und nur da – kann bei Heranwachsenden weniger Wissen nachhaltig transportiert und verfestigt werden, als in 45-Minuten-Unterrichtseinheiten. Und – logischerweise – gibt’s 1-mal weniger Hausaufgaben auf.
8. Absenkung des schulischen Leistungsniveaus
Das in den jeweiligen Klassenstufen von den SuS zu erbringende Leistungsniveau ist in den letzten Jahren kontinuierlich abgesenkt worden. Das führt zwar zeitpunktbezogen zu hohen Abitur-Absolventenquoten in Hamburg, zeitraumbezogen aber zur Inkompetenz von SuS, was die hohe Abbrecherquote von Studierenden im terziären Bildungssektor, konkret in den Naturwissenschaften eindrucksvoll belegt.
Wer Mathematik studiert hat, hört von den Mathe-Professoren im Erstsemester bundesweit seit einigen Jahren unisono: „Schauen Sie mal nach links und nach rechts. Das sind alles Kommilitonen, die Sie im nächsten Semester nicht mehr sehen werden!“ Was die Art und Weise der Vor-„bildung“ der Sekundarstufe damit bei den jungen Menschen psychologisch anrichtet, die guten Glaubens und mit offensichtlich geschönten Noten in den terziären Ausbildungsbereich eintreten, soll hier nicht weiter erörtert werden…
Überspitzt formuliert: Das, was Hamburger Schüler heute im Abitur in den MINT-Fächern an Wissen tatsächlich erbringen müssen, hätte vor 30 Jahren nicht einmal für den Realschulabschluss in Wanne-Eickel gereicht. 😉 Wer’s nicht glaubt, der lese von Prof. H. P. Klein „Hamburgs wundersame Abiturientenvermehrung“ aus der FAZ v. 11.10.13, S. 7, der nochmals wissenschaftlich das bekannte Hamburger KESS 2013-Ergebnis validiert hat, dass Hamburger Gesamtschüler (jetzt Stadtteilschüler) nicht nur bis zu 3 Jahren (!) hinter den Gymnasial-Abiturienten „hinterher hinken“. Hans-Peter Klein beschreibt sehr anschaulich, dass die Hamburger Abitur-Prüfungen in einigen MINT-Fächern nicht über das Niveau hinausgehen: „Schreibe Deinen Namen fehlerfrei oben rechts in die Ecke“ und „kreuze an, ob Du männlich oder weiblich bist“. Ach ja: Hans Peter Klein ist einer der drei Bildungsexperten gewesen, welche im April 2013 vor dem Hamburger Schulausschuss zum „Individualisierten“ und „Kompetenzorientierten“ Unterricht Stellung genommen haben…
Nochmal: Kompetenz(-erwerb) setzt konditioniertes Basiswissen voraus. Und das besteht genau nicht aus „copy and paste“ mit Hilfe von Wikipedia in die PowerPoint-Präsentation für den nächsten Bio-Unterricht. Nix mehr Wissen in Schule üben und „einschleifen“, nix Kompetenzerwerb bei SuS. In keinem Fach. „Namen tanzen können“ reicht nicht für’s Studium. Schleifchen binden kann Oma Plüsch auch…
Da kann man sich geradezu nur wundern, warum die Nachhilfequote in Deutschland nur um die 20% beträgt. Offensichtlich fällt Obiges nur 20% der „über-ehrgeizigen“ Eltern überhaupt auf… Das böse Erwachen für den Rest kommt dann bei versuchtem Eintritt der Sprösslinge ins Erwerbsleben (auch nachzulesen auf unserer Seite: warum Nachhilfe?)…
Ach ja: Den oben zitierten Beitrag aus der FAZ von Prof. Klein mussten wir kostenpflichtig aus dem FAZ-Archiv beziehen, haben wir aber natürlich gerne gemacht. Wir hoffen, dass Prof. Klein zumindest anteilsmäßig an dem Obulus partizipieren kann… 😉
Guten Abend bzw. guten Morgen Herr Pöhlmann,
Sie schreiben / sprechen mir aus dem Herzen, auch wenn unsere Kinder die „so guten“ Schulen in Sachsen besuchen. Unser älterer Sohn besucht die 9. Klasse einer Mittelschule im Realschulzweig und hat bis heute noch keinen größeren Text (mehr als 1 Seite handschriftlich) zu Papier gebracht. Zum Glück kann er reden wie ein Politiker und damit viele Wissenslücken verstecken.
Wir hatten früher eigentlich kaum Streß in der Schule oder am Nachmittag, waren aber in der 9. Klasse schon wesentlich weiter. Auch die vielgepriesene Phantasie im schriftlichen Ausdruck („mit der Rechtschreibung das wird schon noch, wenn sie sich später mal dafür interessieren“) habe ich bei ihm und seinen Mitschülern bisher kaum gemerkt. Und auch 5 Wochenstunden Englisch seit der 5. Klasse haben die Kinder nicht zweisprachig werden lassen. Ich hatte nur 1 Jahr Schulenglisch, da ich ansonsten Russisch und Französisch gelernt habe, und komme noch ganz gut bei seinem Schulstoff mit.
Den Jüngeren unterrichte ich seit 5 Jahren mehr oder weniger zu Hause, da an den ach so tollen Förderschulen die Klassen zwar klein sind aber trotzdem nicht individuell auf die Probleme der Schüler eingegangen wird.
Na ja, zum Glück sind jetzt erst einmal Ferien.
Viele Grüße
Uta Bergmann