Mediale Sozialisation und Kommunikation

Mit der technisierten Form der Kommunikation sind neue Handlungsstrategien in der Bildungspolitik erforderlich geworden, die sich auf die Suche nach Ursachen und zeitgemäßen und praxisnahen Wirkungsmechanismen machen – eine Aufgabe, die nicht allein von der Wissenschaft zu bewerkstelligen ist, sondern als ein gemeinschaftliches Projekt von Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur initiiert sein sollte.

Die heutige Gesellschaft hat sich in einem neu formierten sozialen Raum angesiedelt, in dem digitale Medien und Computer nicht nur allgegenwärtig sind, sondern auch die Lebenswege von der Geburt bis zum Tod begleiten. Die Entwicklungen der Informations- und Kommunikationstechnologien erfordern somit neuartige wissenschaftliche Forschungsansätze unter Einbeziehung soziologischer, kultur- und kommunikationswissenschaftlicher Aspekte, die zu einer Verlagerung der Forschungsfragen und Methoden und neuen Theoriekonzepten führen können. Hinsichtlich der sozialen Einflüsse digitaler Medien im Bildungsraum ist Schule ein lokaler Schauplatz, der im Grunde durchdrungen und geformt ist von weit entfernt liegenden sozialen Einflüssen. Die sichtbare Form eines Ortes verbirgt die entfernten Verbindungen, die sich in den medientechnologischen Feldern verlieren.

Mit der Medienintegration im schulischen Unterricht wandeln sich auch die Kommunikationsumgebungen, aus denen wiederum neue kulturelle Konstruktionen erwachsen.1 Die Mediatisierung birgt einen langfristigen, komplexen und gesellschaftlichen Wandlungsprozess in sich, in dem es nun mittels anschlussfähiger neuer Theorien zu eruieren gilt, wie sich Kommunikation mit digitalen Medien gesellschaftlich und sozial auswirkt.

Welche Bedeutung haben die veränderten sozialen Beziehungen für das gesellschaftliche Leben? In welchem Zusammenhang stehen dabei die veränderten Sozialwelten mit den weltweiten Entwicklungsprozessen wie Globalisierung und Individualisierung, in denen das Transkulturelle immer mehr an Bedeutung gewinnt? Wie wirkt sich die Prägung der Medienkommunikation auf Bildung, Kultur und Gesellschaft aus?2 Das kommunikative Handeln von Menschen in Zeiten digitaler Allgegenwärtigkeit ist ins Zentrum der Medien- und Kommunikationswissenschaft gerückt. Der Fokus liegt auf dem Gesamtphänomen der verschiedenen Medienkulturen, die in ihren kommunikativen Kontexten erfahrbar gemacht werden müssen. Der komplexe Prozess der Mediatisierung ist somit als ein Metaprozess des sozialen Wandels zu verstehen, der nicht linear verläuft, sondern sich über die unterschiedlichsten Formen der medialen Aneignung im sozialen Handeln von Menschen widerspiegelt.3Der soziale Wandel kommt über die Aneignung von digitalen Medientechnologien zustande und bezieht sich auf alle Bereiche des persönlichen und sozialen Lebens: auf Identität, Alltag und Beziehungen, ebenso wie auf Kultur und Gesellschaft.4

Das Thema Medienkommunikation gilt als Motor des gesellschaftlichen Wandels. Der Bedeutungszuwachs digitaler Medien ist so enorm, dass neue Ansätze in der Medien- und Kommunikationsforschung erforderlich werden, die den schleichenden Prozess der gesellschaftlichen Mediatisierung aufdecken. Ausgangspunkt ist dabei die Beobachtung, dass sich auf der Ebene der Institution Schule das Kommunikationsverhalten von Lernenden dahingehend verändert hat, dass der Zugang zu medialen Wissensvorräten und die Nutzung von Ressourcen auch im Zusammenhang mit der Entwicklung von Normen und Werten einhergeht. Mit der Vielfalt an Kommunikationsmöglichkeiten experimentieren Kinder und Jugendliche, um eigene Potenziale zu nutzen oder sich in medialen Prozessen selbst zu inszenieren.

Unter dem Einfluss digitaler Medien werden sich in Zukunft Kultur und Gesellschaft noch weiter verändern, weil soziale Integration und Partizipation eng mit der Mediatisierung von Sozialisation zusammenhängt. Zur gesellschaftlichen Teilhabe am Mediatisierungsprozess gehören somit immer auch soziale und kulturelle Voraussetzungen. Ist dieser Hintergrund nicht gegeben, wird es zwangsläufig zu einem Anstieg der digitalen Spaltung, kultureller Heterogenisierung und Desintegration sozialer Gruppen kommen.5

Ausgehend davon, dass Kinder und Jugendliche schon im frühen Lebensalter mediale Angebote habitualisieren und diese Bestandteil sozialer Interaktionen sind, über die auch Werte und Normen ausgehandelt werden, sollte der Frage nachgegangen werden, weshalb diese vorstrukturierte Wirklichkeitsordnung des Alltags nicht im schulischen Kontext selbstverständlich aufgenommen wird. Womit ist die Angst vor der medialen Existenz und den digitalen Persönlichkeiten in Schulen zu begründen? Die Schule als ein traditioneller Ort kommunikativer Gemeinschaft durchlebt einen Wandel, der auch symbolisch für die Veränderung innerhalb der Gesellschaft steht. Gemeinschaft definiert sich heutzutage weitgehend über Medien und nicht mehr über das subjektiv empfundene Zusammengehörigkeitsgefühl von Individuen. Einer Definition Max Webers zufolge bedeutet Vergemeinschaftung „eine soziale Beziehung, wenn und soweit die Einstellung eines sozialen Handelns – im Einzelfall oder im Durchschnitt oder im reinen Typus – auf subjektiv gefühlter (affektueller oder traditionaler) Zusammengehörigkeit der Beteiligten beruht.6

Mit dem Aufkommen der Kommunikationsmedien haben sich die direkten Sozialbeziehungen innerhalb einer Gemeinschaft zu einer lernenden Gemeinschaft des Geistes – „Communities of Mind“7 transformiert. Bislang sind im schulischen Unterricht Wissensgemeinschaften aufeinandergetroffen, deren Mitglieder gemeinsam Erfahrungen und Wissen teilen, die zumeist auf direkter Kommunikation basieren. Demgegenüber etabliert sich zunehmend eine Kommunikationsgemeinschaft, welche aufgrund ihrer Struktur translokal übergreift und über den mediatisierten Kommunikationsprozess hinaus ein neues Zusammengehörigkeitsgefühl generiert.8 Kommunikationsmedien werden benötigt, um translokale Gemeinschaften im Hinblick auf deren Struktur, Wir-Gefühl und Distinktion aufrechtzuerhalten. Folglich sind Kommunikationsmedien konstitutiv für diese Art der Gemeinschaft.9

Die unterschiedlich mediatisierten Gemeinschaften, die wiederum in unterschiedlichen Kommunikationsnetzwerken verankert sind und ein breites Medienrepertoire implizieren, sind genau die komplexen Herausforderungen, denen sich moderner Schulunterricht stellen sollte: „Kennzeichnend für das Gemeinschaftsleben junger Menschen ist nicht einfach (nur) die Mediatisierung einer einzelnen Gemeinschaft. Kennzeichnend ist darüber hinausgehend, dass ihr subjektiver Vergemeinschaftungshorizont insgesamt mediatisiert ist.10 Digitale Medien stellen in der Wirklichkeitsordnung von jungen Menschen eine sozial normierte Voraussetzung dar, um miteinander in Kommunikation zu treten. Dieses dichte soziale Beziehungsgeflecht ist ein Teil des gesellschaftlichen Prestiges und stellt einen Motivationsmotor für zukünftiges mediales Handeln im Unterricht dar. Somit ist Kommunikation soziales Handeln und findet in sozialen und kulturellen Kontexten statt. Kommunikation bildet somit die Grundlage für die Bewältigung von Alltag und Identität, in der sich Beziehungen, Kultur und Gesellschaft offenbaren.11

Mit den Neuen Medien durchlebt die Kommunikation innerhalb der Gesellschaft einen Paradigmenwechsel, der sich vorrangig in der Bedeutung eines veränderten Leitmediums, der digitalen Medien, ausdrückt. Mit der Digitalisierung und der Konvergenz von Medien hat Kommunikation im Kulturprogramm sich dahingehend erweitert, dass neue Kommunikationsumgebungen geschaffen worden sind, in denen sich der Mensch – als Aktant und Kommunikator – neue Orientierungsräume gestaltet und soziale Beziehungen aufbaut. Das Individuum ist heutzutage mehr denn je auf Technik angewiesen und baut sein eigenes Menschsein innerhalb dieser Technologien auf. Aus diesen technischen Entwicklungen resultiert ein neues Weltbild, das das eigene Selbstbild verändert. In unseren heutigen Kommunikationskulturen treffen global alle Zivilisationen aufeinander und rufen ein verändertes Wertesystem hervor, das primär auf mediengemachten Weltbildern beruht. Damit verändert sich auch der Kulturbegriff, weil innerhalb von Mediatisierungsprozessen neue kulturelle Identitäten entstehen. Es ist daher notwendig, sich schulisch den digitalen medienbezogenen Kommunikationsformen zu widmen, die im Zusammenspiel mit digitaler Wissensbildung eben auch signifikant in der Schule ihren Ausdruck im Wandel veränderter sozialer Beziehungen finden und gleichsam für die Veränderung gesellschaftlicher Rahmenbedingungen stehen.

Die Form, mit der Kinder und Jugendliche sich Zugang zu medialen Wissensvorräten verschaffen, und wie beziehungsweise wozu Ressourcen genutzt werden, weist nicht nur auf die Herausbildung der eigenen Identität hin, sondern steht für Werte und Normen, an denen junge Menschen sich im Kulturprogramm orientieren: Die über die digitalen Medien hervorgerufenen Kommunikationsformen haben maßgebliche Bedeutung für die zukünftige Teilhabe an kulturellen und gesellschaftlichen Prozessen. Zu untersuchen wäre ebenso, wie sich unter den neuen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen das Verständnis von Identität unter Einwirkung mediatisierter Kommunikation von Kindern und Jugendlichen verändert hat und wie sich parallel zu dieser rasanten Entwicklung andere Formen sozialen Handelns und Verständigungsmuster etablieren.

Im schulischen Bildungskontext ist es somit notwendig, die auf zunehmend digitaler Kommunikation beruhenden sozialen Beziehungen zu reflektieren, um aus dem Blickwinkel der Kinder und Jugendlichen eine Grundlage für einen vollziehenden Lernprozess zu schaffen, der sich sowohl nach den gesellschaftlichen und kulturellen Rahmenbedingungen richtet als auch die individuellen Bedürfnisse im Fokus hat. Globalisierung und Individualisierung sind gesellschaftliche Begrifflichkeiten, die zu einer hohen Alltagsbeschleunigung beigetragen haben, die wiederum zu einer Diskontinuität und Fragmentierung der Identitätsbildung bei Kindern und Jugendlichen führt. Die komplexen schulischen Anforderungen haben folglich Auswirkung auf Einstellungen, Handlungen und Denkmuster bei der Identitätssuche, weil der gesellschaftliche Anspruch an Eigenständigkeit, Selbstverantwortlichkeit und Individualität nicht einhergeht mit den zerbrechlichen Identitätsentwürfen von jungen Menschen. In einer postmodernen Gesellschaft hat Schule grundsätzlich die Aufgabe, einen Rückhalt an Orientierung zu geben und Lösungen für die Bewältigung komplexer, teilweise diffuser Herausforderungen anzubieten.12 Mit den veränderten gesellschaftlichen Bedingungen müssen Lehrende sich durch vielfältige innovative und kommunikative Aushandlungsstrategien ausweisen sowie neue soziale wohl eher heterarchische Beziehungen zu den Schülern aufbauen, um sie in ihrer Identitätsarbeit – unter Einbeziehung digitaler Medien – zu unterstützen. Für diese gesellschaftlich und sozial relevante Herausforderung im schulischen Umfeld bedarf es zeitgemäßer, fakultätsübergreifender Wissenschaft und Forschung, welche mit praxisbezogenen, alltagstauglichen und empirischen Methoden interdisziplinäre Anerkennung erhält.

1 Vgl. Faßler, Manfred: Netzwerke. Einführung in die Netzstrukturen, Netzkulturen und verteilte Gesellschaftlichkeit, UTB, München, 2001, S. 39. Vgl. auch: Giddens, Anthony: Die Konsequenzen der Moderne. Suhrkamp, Frankfurt/Main, 1996, S. 156ff. Anmerkung: Der britische Soziologe Giddens bezeichnet die unberechenbare Entwicklung der Dynamik als ein „hochmodernes Risikoprofil“, das u. a. auch für die „Hervorbringung institutionalisierter Risikoumwelten“ verantwortlich ist. Er zeigt das Wechselspiel zwischen den tradierten Wirkungen und den nicht mehr planbaren Ereignissen in der Gesellschaft auf und erforscht dabei das Verhältnis des Individuums zur Gesellschaft: der Mensch als Teil der Gesellschaft, der im Wechsel zu Raum- und Zeitdimensionen innerhalb der globalen Welt steht.

2 Vgl. Krotz, Friedrich et al. (Hrsg.): Die Mediatisierung sozialer Welten. Synergien empirischer Forschung. VS, Wiesbaden, 2014, S. 7.

3 Vgl. Neverla, Irene; Schäfer, Mike S., (Hrsg.): Das Medien-Klima. Fragen und Befunde der kommunikationswissenschaftlichen Klimaforschung. VS, Wiesbaden, 2012, S. 159f. Anmerkung: Der Wandel von Kommunikation ist die Folge des technologischen und institutionellen Medienwandels, mit dem soziale und kulturelle Veränderungen einhergehen. Dieses Phänomen wird allgemein als Metaprozess angesehen, weil sich diesem Wandel niemand mehr entziehen kann. In dem Metaprozess der Mediatisierung sind alle Gesellschaftsbereiche eng miteinander verflochten. Die Wissensgesellschaft nimmt bei der Ausbreitung der neuen Technologien eine Vorreiterrolle ein, womit sie die Avantgarde im Prozess der Mediatisierung darstellt.

4 Krotz, Friedrich: Die Veränderung von Privatheit und Öffentlichkeit in der heutigen Gesellschaft. In: Medien und Erziehung, 53, Heft 8, 2009, S. 12.

5 Vgl. Krotz, Friedrich: Von Modernisierungs- über Dependenz- zu Globalisierungstheorien. In: Hepp, Andreas et al. (Hrsg.): Globalisierung der Medienkommunikation. VS, Wiesbaden, 2005, S. 21–43.

6 Vgl. Hepp, Andreas et al. (Hrsg.): Mediatisierte Welten der Vergemeinschaftung. Kommunikative Vernetzung und das Gemeinschaftsleben junger Menschen. VS, Wiesbaden, 2014, S. 52. Anmerkung: Im Hinblick auf die heutige Medienforschung sind die Überlegungen von Max Weber zur Vergemeinschaftung insofern aktuell mit einzubeziehen, als bei Weber schon die Idee „posttraditionaler Vergemeinschaftung“ ins Kalkül gezogen wird, die bereits den Gedanken einer multioptionalen Gesellschaft der Individualisierung in sich trägt.

7 “What is a Habits of Mind Learning Community? A place where all individuals value, display and seek to deepen Habits of Mind. Such a learning community… being a part of the ongoing culture of the school.” Vgl.: http://www.habitsofmind.org/sites/default/files/ST4_MbDawards.pdf. Letzter Zugriff: 10. März 2017.

8 Vgl. Hepp, Andreas (Hrsg.): a. a. O., S. 54.

9 Ebd., S. 55.

10 Ebd., S. 60.

11 Vgl. Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie. Mohr, Tübingen, 1990.

12 Vgl. Shell Deutschland Holding (Hrsg.): Jugend 2010. Eine pragmatische Generation behauptet sich. Fischer Taschenbuch, Frankfurt/Main, 2010, S. 195f.

Veröffentlicht von

Dr. Kai Pöhlmann

Dr. Kai Pöhlmann ist Inhaber der ABACUS Nachhilfe Institute Hamburg und Kreis Pinneberg und Gründer des ersten ABACUS-Nachhilfeinstitutes nördlich der Isar. Google+

Schreibe einen Kommentar