Gestern stand im SZ-Magazin ein interessanter Artikel über Mathematik an Schulen und die Leistung von Mathelehrern im besonderen: Autorin Susanne Amon führt das verbale Schwert in Ihrem Artikel „Was machen Mathelehrer eigentlich falsch? gegen die an Schulen von vielen Schülern so gefürchtete Spezies und betreibt Ursachenforschung aus Sicht der betroffenen Mutter.
Eine von ihr vermutete Ursache: Schlechte Abiturienten studieren Mathe auf Lehramt, haben selber keine Ahnung und können es deswegen später anderen Schülern auch nicht so gut beibringen. Auch erwähnt die Autorin den Ansatz der „Lernfeldorientierten Kompetenzvermittlung“ lobend und gibt Tipps zur Mathe Nachhilfe mit dem PC.
Der Nachhilfe News Blog greift das Thema gerne einmal auf, denn die Behauptung, dass Mathematik das Nachhilfefach Nr. 1 ist, entspricht ja den Tatsachen.
Einige Ebenen aus unserer Sicht:
1.) Kinder haben heute viel zu wenig Berührung mit der Grundlage der Mathematik, dem Rechnen und dessen Konditionierung, dem Kopfrechnen
1.1. Welcher Schüler geht denn noch mit € 5,- zum Krämer und holt Brötchen, 3 Scheiben Wurst und muss das Wechselgeld nachzurechnen?
1.2. Welche Familie hat noch eine analoge Uhr an der Wand, wo Kinder besser als mit einer Digitalziffern-Uhr ein Zeitgefühl entwickeln können und Uhrzeiten ausrechnen müssen: „Mama, wann gibt es Mittagessen?“ „In 20 Minuten!“
1.3. Welcher Vater steht im „IKEA“ und „Toys ‚r us“ Zeitalter heute noch in seiner (Hobby-)Werkstatt und bastelt mit dem Sohnemann oder der Tochter Möbel, Drachen und Modellboote, damit auch die Kinder anschaulich verstehen, was ein Gliedermaßstab ist und welchen Sinn die Striche darauf haben?
1.4. In den Supermärkten wird Ware kaum noch nach Gewicht verkauft: Selbst an der Wursttheke bestellt Mutti häufig nach Anzahl der Scheiben und nicht nach Gewicht… So können auch begleitende Kinder den Sinn und den „gewichtigen“ Unterschied von 120g Wurst und einem halben Pfund Butter kaum noch erkennen.
1.5. Geld verdienen nicht Mami und Papi, das Geld kommt aus dem EC-Automaten und selbst die Kassiererin an der Kasse rechnet nicht mehr, die „blibst“ nur noch die Artikel und Mutti oder Papi zahlen mit Karte…
1.6. Kinderspiele, die Grundrechenkenntnisse in frühen Jahren verfestigen (zum Beispiel Abzählreime, Springseilspiele, Himmel und Hölle, Murmeln) sind heute obsolet geworden
2) Schon in den Grundschulen kann häufig nicht mehr ausreichend verfestigt werden. Vielfältigste Mathe-Stoffgebiete werden zwar angerissen, aber nicht immer bei den Schülern automatisiert. Das Zweier, Vierer und Fünfer-System mag zwar zur Schärfung des logisch-abstrakten Verständnisses beitragen, genau wie früher die Mengenlehre. Die perfekte Beherrschung der Grundrechenarten, des kompletten (hic) 1 mal 1 „im Schlaf“ und die Fähigkeit, sogenannte eingekleidete Aufgaben zu lösen, sind hier sicher zunächst solidere Basis für die Sekundarstufe.
3) Ja, es gibt schlechte Mathelehrer an Schulen. Es gibt ja auch schlechte Klemptner und schlechte Unternehmensberater. Der Unterschied ist, dass der schlechte Klemptner auf lange Sicht keine Kunden mehr bekommt… Sicher kann hier ein Lehrer-NC scheinbar helfen. Aber wer studiert dann noch auf Lehramt? Der brilliante Mathe-Abiturient möchte vielleicht eher in die Wirtschaft und sich unter einem Leistungsprinzip beweisen…
4) Mathematik baut in Deutschland methodisch klar aufeinander auf und das ist auch gut so! Wer grundlegende Rechenregeln nicht verstanden hat, der versteht später keine Binome. Wer die nicht kann, hat Probleme bei den Thermen und so weiter… Spätestens ab Klasse 9/10 vernetzen sich die Mathe-Anforderungen so stark, dass Wissenslücken beinhart durchschlagen… Mathe können geht nun mal nicht mit Wortumschreibungen wie in den Fremdsprachen, wenn einem die Vokabel nicht einfällt.
4.1. Der Fachlehrer hat sich an seine Lehr- / Bildungspläne entsprechend den Klassenstufenanforderungen zu halten: Hat ein Schüler in der 8. Klasse nicht begriffen, wie man Brüche erweitert und kürzt, ist es üblicherweise nicht mehr seine Aufgabe, diese Lücken aus der Vergangenheit individuell zu schließen.
4.2. Das angeblich so teure Sitzenbleiben (angeblich € 5.100 je Schüler) abzuschaffen, führt letztendlich dazu, dass Schüler mit schlechten Schulkenntnissen „durchgeschleust“ und nach der Schulzeit ins Sozialsystem „abgekippt“ werden. Denn diese Schüler bestehen logischerweise die Personalauswahlverfahren in der freien Wirtschaft nicht. Auch der Malermeister bietet keinem Schüler einen Lehrvertrag an, der nicht die Quadratmeterzahl einer Wand berechnen kann…
4.2.2. € 367,– Sozialhilfesatz monatlich sind auch schon € 4.404,– p.a. ohne die Folge- und die Opportunitätskosten…
5) Die Benutzung des Taschenrechners an Schulen unterhalb der Sek. II führt nicht unbedingt zu einem tieferen Verständnis dessen, was der Schüler da eintippt, aber der Mathelehrer kann zumindest die Stoffvorgaben einhalten… Die Schummelzettel der heutigen Schülergeneration enthalten Tastentip-Kombinationen und keine Rechenwege mehr…
6) Ja, die Mathe Methodik und Didaktik könnte besser an die heutige Schülergeneration angepasst und weniger abstrakt vermittelt werden: Viele 13-Jährige verstehen nicht mehr, wenn der Mathelehrer erklärt, dass die Summe der Kathetenquadrate dem Hypotenusenquadrat entspricht und dass ein „Rechter Winkel“ nicht aus den Jahren 1933-1945 stammt :-)… Mit Bildern erklären macht sich da einfach besser. Das geht tatsächlich auch bei den binomischen Formeln…
Mathematik ist heute in Deutschland sicher problematischer an Schüler zu vermitteln, weil die natürlichen Bezugspunkte, an denen Schule an- und aufsetzen kann, heutzutage nicht mehr so vorhanden sind wie noch vor 30 Jahren. Allerlei technische Hilfsmittel erleichtern den Alltag und vermitteln den Eindruck, dass man auch ohne Mathe im Leben klarkommen kann: Selbst der Küchenplaner tippt nur noch die Grundmaße in sein Programm, er muss weder perspektivisch zeichnen können, noch Volumenberechnungen beherrschen. Das macht dann das 3-D Animations Programm.
Nichts desto trotz ist und bleibt Mathematik eine Grundlage erfolgreichen wissenschaftlich-rationalen Handelns. Anwendungs-Mathe ist nachvollziehbar, klar und wahr (wenn man mal von Stochastik absieht :-)). Es muss eben nur – leider heutzutage theoretisch – schlicht „gepaukt“ werden. Dazu gehören auch klare und regelmäßige Arbeitsaufträge an Schüler in Form von Hausarbeiten. Auch Latein-Vokabeln müssen ja schlicht gepaukt werden, da die weltliche Reflektionsebene hier fehlt, es sei denn, Papi ist gerade Kardinal von Beruf :-).
Die Ursache für Matheprobleme von Schülern nur bei den Mathelehrern zu suchen, wäre wohl zu banal.
Es ist jeder Leistungsgesellschaft immanent, bessere Schüler zu fördern und schlechtere Schüler zu fordern. Überall im Leben werden für die Ausübung einer Tätigkeit bestimmte Anforderungen gestellt, welche sich immer in einem bestimmten Maß von Kenntnissen summieren. Das gilt natürlich auch für musisch-kreative Berufsfelder. Jedoch brauchen wir in Deutschland steten und guten Nachschub gerade auch in den MINT-Fächern…
Und übrigens hat zum Beispiel der Maler M. C. Escher seine Bilder erst gerechnet und dann gezeichnet 🙂
8 Gedanken zu „Machen Mathelehrer etwas falsch?“