Latein Nachhilfe mit dem Unterkiefer?

Dies ist zwar kein Artikel zum Unterricht im Fach Biologie / Anatomie des Menschen, aber der Unterkiefer als Teil des menschlichen Schädels ist eben doch auch ein mechanisches Sprechwerkzeug und hat beim Latein-Lernen eine durchaus wichtige, häufig unterschätzte Funktion:

Denn er übernimmt auch eine zentrale Rolle beim Erwerb sprachlicher Kenntnisse, weshalb man schmunzelnd vom „Unterkiefer-Lernen“ sprechen könnte. Das ist dann der Fall, wenn es nicht um Sich-Etwas-Merken, -Einprägen, -Gründlich-Durchlesen geht, sondern um die jederzeitige sichere situationsunabhängige Verfügbarkeit von Detailwissen, das In- und Auswendig-Können.

Der Pädagoge spricht hier von Konditionierung. Das Lesen fremdsprachlicher – im vorliegenden Fall: lateinischer – Texte führt natürlich über das Verstehen und gegebenenfalls die Analyse zum Nachweis des Verständnisses im Übersetzen. Dieses kann und darf nicht zum Querfeldein-Hindernislauf einer Abfolge von orakelhaften Identifizierungsversuchen verkommen. Verschwendung von Zeit und Motivation bei den Schülern, Überdruss, Fehlerhaftigkeit und damit Misserfolg für den Schüler wären die Folgen. Nein:

Servus – servi – servo – servum – servo – serve

mit richtiger Betonung und nachdrücklich gesprochen, ist fast ein Gedicht, welches jeder Eleve auswendig können sollte, und das möglichst in jeder Deklinationsklasse, beider Numeri und den drei Genera.

Das Lernziel einer solchen mechanischen Übung:

Die sofortige und mühelose Identifizierung jeder Casusform. Dafür ist – so banal das im ersten Moment klingen mag – mit unser Unterkiefer zuständig. Kommt dann noch das Kleinhirn mit dem Wissen um den Sinn, den semantischen Gehalt eines jeden Kasus hinzu und dann noch das Großhirn mit der Kenntnis der strukturellen Rolle der Casuus im Satz, dann steht dem flüssigen Lesen eines lateinischen Textes kaum noch etwas (nun ja, die Wortbedeutungen – dazu bei anderer Gelegenheit) im Wege: Latein kann durchaus ein leichtes Schulfach sein und muss nicht in der Badewanne unterrichtet werden ;-). Eine Basis hierfür kann dabei das „Unterkiefer-Lernen“ darstellen, der „Geist“ hilft dann in Spezialfällen weiter.

Es gibt Analogien:

Der Nom.Sg. m./ f. ist leicht an dem Marker „-s“ (servus, fides) oder 0 (Null) (serva, senator) zu erkennen, der Akk.Sg. m./ f. am „-m“, der Gen.Pl. am „-(r)um“ usw.

Damit sind die häufigsten Fälle schon fast ohne besondere Lernleistung abgedeckt, der Unterkiefer muss keinen Muskelkater bekommen, für ihn bleibt aber ein unausräumbarer Rest. Ich würde daher fast vorschlagen, die Spezialdisziplin „Unterkieferologie“ in die Sprachwissenschaften einzuführen und für den Anfangsunterricht in der Fremdsprache LATEIN konsequent heranzuziehen. Ohne mechanisches Lernen (im engsten Sinne) geht es dann aber auch in unserer professionellen Latein-Nachhilfe natürlich auch nicht: Per aspera ad astra 😉

Veröffentlicht von

Hallberg

Gymnasial-Rektor a.D., Alt-Philologe, Christianeum-Alumnus, über 30 Jahre Lehr- und Leitungserfahrung, seit 2000 Nachhilfelehrer bei ABACUS

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