Die Digitalisierung der Gesellschaft schreitet in immer schnelleren Schritten voran. Keine Tätigkeit mehr, die Berufseinsteigern nicht zumindest rudimentäre Kenntnisse in Bezug auf digitale Medien abverlangt. Selbst der Friseur hat heute eine Homepage und auch das Restaurant macht heute seine Reservierung per Whatsapp oder über E-Mail Verkehr. Ein Unternehmen verlangt Bewerbungen online und recherchiert – selbstverständlich online über den / die potenziellen Stellenkandidaten im world wide web.
Die Lebens- und Alltagswelt als soziales System verlangt also heute vom Bildungslabor Schule eher weniger die Fakten der drei punischen Kriege ab, die Rollen Hannibals und seines Vaters Hasdrubal im Hegemonialstreit der südlichen Mittelmeeranrainer mit dem Moloch des Römischen Imperiums – was ohne Zweifel auch interessant ist – als vielmehr Wissen und Anwendung einer Praxisorientierung, um mit der Umwelt auch interagieren zu können. Wie hatte es W. v. Humboldt so schön formuliert: „Ich und die Welt in schönster… Wechselwirkung“. Wobei die Betonung auf der Wechselwirkung und nicht auf dem Individuum liegt. Zumindest in einer Gesellschaft. Denn das Individuum steigt im Wertschöpfungsprozess ja nun mal nicht gleich als Bundeskanzler -/in in der Hierarchie ein – dieser darf die Richtlinien der Innen- und Außenpolitik dann nämlich ganz allein bestimmen. 😉
„Die Gesellschaft verlangt.“ Ja, darf die das denn? Ja, sie darf. Denn Schulen und Lehrerkräfte dienen keinem Selbstzweck. Schule ist vom Kulturprogramm einer Bildungsgesellschaft dazu implementiert und alimentiert, Kinder und junge Menschen auf aktive Teilhabe (sic!) an Gesellschaft vorzubereiten. Hier geht es genau nicht um Autarkie, die in Forschung und Lehre an tertiären Bildungseinrichtungen natürlich notwendig ist. Im primären und sekundären Bildungsbereich geht es um die Vorbereitung der aktiven mitgestaltenden gesellschaftlichen Teilhabe an dem jeweiligen Gesellschaftsprogramm. Um nicht mehr, aber auch um nicht weniger.
Das Grundwissen der „aktiven Teilnahme an Gesellschaft“ ist in Deutschland für die Regelschulen bis Sek.II (neu: E-Q2) mit dem Begriff der Allgemeinbildung umschrieben: „Allgemeinbildung wird als zentrale Aufgabe der allgemeinbildenden Schule und als verpflichtendes Angebot der Gesellschaft an alle Heranwachsenden verstanden„.
Den Grund liefert Heyman gleich mit: „Heranwachsende bedürfen der systematischen Auseinandersetzung mit und Aneignung von Welt, um sich selbst und ihre mögliche Rolle in der Welt zu finden. Erst im Prozeß der Bildung wird der Mensch zum Menschen. Und prinzipiell bietet schulischer Fachunterricht einen geeigneten Rahmen für diese notwendige Auseinandersetzung und Aneignung. Denn die Schulfächer repräsentieren die für unsere Kultur und Gesellschaft charakteristischen Zugänge zu der von uns zu erkennenden Welt.“ (Zitate aus: Allgemeinbildung als Aufgabe der Schule und als Maßstab für Fachunterricht)
Die gleiche Kette der Interaktion zwischen Individuum und Umwelt könnte man jetzt über Habermas oder Dilthey aufmachen, aber „Zugänge der von uns zu erkennenden Welt“ genügen hier völlig. Es geht um Zugänge. Liefern Kenntnisse über die punischen Kriege jungen Menschen, die in einen Beruf streben, heute Zugänge zur Alltags- und Lebenswelt?
Nein, Zugänge zur Lebenswelt liefern heute wie früher anwendungsbezogene Fachkenntnisse und „Soziales- bzw. Netzwerkkapital“, um es mal mit Bourdieu zu sagen. Nur wie wird „objektiviertes Kulturkapital“ in einer Bildungsgesellschaft, wie werden Netzwerke in gesellschaftlicher Medialisierung gestrickt? Korrekt, mit Medienkompetenz.
Die Wissenschaft weiß das, die Bundespolitik weiß das. Gerne zitieren wir hier Frau BuFaMinIn. Schwesig v. 11.2.2014: „Wir leben in einer digitalisierten Welt. Es ist auch wichtig, dass Medienkompetenz in der Schule dazugehört wie Deutsch und Mathe.“ (dpa v. 11.2.2014, 18:01 Uhr)
Bloß Regionalpolitiker und Schule verstehen das häufig nicht immer und sehen in den neuen Medien entweder die Bedrohung des Althergebrachten, gar die Gefährdung der Herausbildung der kritischen Ich-Identität des Schülers, oder sehen in der digitalen Werkzeugen kurzsichtig lediglich Hilfsmittel, welche allenfalls punktuell nützen, aber im Zweifel eher den Schüler ablenken als horizonterweiternd dienen können und im Abgleich keinem Vergleich mit traditionell-individueller Wissensvermittlung durch den tradiert-didaktisch geschulten Lehrkörper standhalten können.
Tritt man in den fundierten Diskurs, wird die Medialisierung als momentan-punktueller gesellschaftlicher Hype gedeutet, welcher nicht unbedingter Reaktion bedarf. Erst einmal sollen doch die Befürworter des schulischen Einsatzes digitaler Medien gefälligst beweisen (!), dass gesellschaftliche Relevanz von Digitalisierung an Schulen besteht und das diese Medienkompetenz Wissen „besser vermittelt“ als der traditionell autarke Lehrer-In mit seiner individuellen Kompetenz: „Hic Rhodus, hic salta!“
Nochmal zur Reflexion: Eine wissenschaftliche Theorie hat vier Funktionen: Eine Exploration (= ein logisches System mit Erklärung), ein Ordnungssystem, eine Klassifizierung und eine mögliche Prognose. Eine Negierung, eine Bewahrung oder eine Beweislastumkehr („Belege Du erst einmal, dass Deine digitalen Mittel etwas taugen“) ist nicht einmal eine wissenschaftliche Theorie. So etwas ist nicht einmal methodologisch. Es fehlt den Beharrern scheinbar ein emanzipatorischer Zugang zur Materie. Schade…
Bewahrpädagogik und politische Beharrer verhindern so noch in vielen Bundesländern Prosperität des eigenen Kulturprogramms in einer sich rapide wandelnden Kommunikationsgesellschaft. Die partielle Einführung von Tablets an einigen Schulen wird häufig lediglich als „Hilfsmittel“ ähnlich der eines Bleistiftes denn als Schlüssel der digitalen, globalen Wissenswelt wahrgenommen. Es fehlt – nach wie vor – schlicht bei manchen Gestaltern des schulischen Bildungsprozesses am Horizont der Potentialerkennung von digitalen Medien im gesellschaftlichen Wandel.
Wissenschaft, Wirtschaft und Verbände bemühen sich, Potentiale aufzuzeigen und schulisch-institutionelle Entwicklungsdefizite zu pointieren. Die ICLS als Momentaufnahme digitaler Fähigkeiten deutscher Jugendlicher im internationalen Vergleich oder die gerade erschienene BITKOM Studie „Digitales Lernen“ zeigen die Defizite staatlicher Regelschulen im Bereich der heute zwingend notwendigen digitalen Lebensqualifizierung klar auf.
Für die Didaktiker hat Prof. Bardo Herzig hier schon einmal Vorarbeit geleistet, indem er zumindest Einflussfaktoren digitaler Medien im Unterricht klassifizierte. Aber dass Medienkompetenz mittlerweile als vierte basale Kulturtechnik neben dem Lesen, Schreiben und Rechnen in Bildungsgesellschaften gilt, scheint noch nicht bundesweit zu jedem Kommunalpolitiker, der sich qua Amt mit allgemeiner Schulbildung beschäftigen muss, durchgedrungen zu sein. Was auch irgendwie klar ist: Die schulische Umsetzung kostet Gehirnschmalz, Überwindung von Widerständen und Geld!
2 Gedanken zu „Digitalisierung und Medienkompetenz an Schulen – kein Thema?“