Zu Beginn des letzten Jahrhunderts waren philosophische Fragen noch an der Tagesordnung. Sie waren Bestandteil einer Gesellschaft, die Freude daran hatte, mit der Kraft ihres Geistes in die Geheimnisse der Welt einzudringen.
Und heute? Es sieht manchmal so aus, als ob die Menschheit das Vertrauen in ihr eigenes Denken verloren hätte. Der Mensch forscht im Detail und verliert den Blick für das große Ganze. Doch gerade in einer Zeit des kulturellen und gesellschaftlichen Wandels durch die Mediatisierung ist souveränes Denken notwendiger denn je. Mit den wandelnden Medienumgebungen haben sich neue innere Strukturen in unserem Verhalten determiniert. Hat sich damit auch das Soziale in der Kommunikation verändert? Oder öffnen sich mit den Neuen Medien auch neue kommunikative Bedürfnisse, die unser Denken lenken?
Da, wo Autonomie und Selbstbestimmung zu neuen gesellschaftlichen Tugenden werden, verfeinert sich auch das Bedürfnis nach Bildung. Im 21. Jahrhundert denkt sich das Leben „unternehmerisch“, das bedeutet, dass sich der Mensch nicht mehr an Fakten und Fachwissen orientiert, sondern seinen Geist auf selbst gesteuertes, lebenslanges Lernen ausrichtet. Voraussetzung dafür sind neue Kulturtechniken, die unser Grundwissen erweitern. Subjektive Bildungsprozesse sind zunehmend abgekoppelt vom Schul- und Arbeitsleben und ganz auf individuelle Lebensziele ausgerichtet. Diese neue Form der Lernkultur definiert sich über Identitätsbildung und soziale Erkenntnisse: ganzheitliches Arbeiten an sich selbst.1 Darin eingebunden sind kommunikative Denkprozesse. Doch mit den Auswüchsen der mobilen Kommunikation verstärkt sich der Eindruck, dass die Fähigkeit zu komplexem Denken immer weniger ausgeprägt ist. Dabei ist die Notwendigkeit von strategischem Denken wichtiger denn je, weil der digitale Mensch sich der Potenzierung an Informationen nicht mehr erwehren kann.
Souveräner Umgang mit den alltäglichen medialen Einflussfaktoren erfordert souveränes Denken. Und souveränes Denken resultiert aus Bildung. Bildung leitet zum mündigen Denken und fördert die Urteilskraft und die Fähigkeit zum Handeln. Ohne Bildung wird es keine unvoreingenommene Haltung geben, die es ermöglicht, zu differenzieren, zu ermessen und zu überprüfen. Souveränes Denken ist gefragt, weil damit Orientierung und Überblick erzeugt werden können. In dem Begriff der Souveränität vereinigen sich Eigenschaften wie Selbstbestimmung, Verantwortungsbewusstsein und Selbstbewusstsein sowie Respekt gegenüber anderen. Souveräne Menschen zeichnen sich durch fachliche und soziale Kompetenz aus, die ihr gesamtes Kommunikationsverhalten nachhaltig beeinflusst. Mit der Art, wie kommuniziert wird, werden auch immer Aussagen über das Selbst formuliert. Souveränität und Kommunikation stehen sich wechselwirkend gegenüber, denn nur wer souverän kommunizieren kann, ist auch in seinem Denken und Handeln souverän. Mit den grenzenlosen Kommunikationsmöglichkeiten gerät aber die Qualität und Effektivität von Kommunikation sichtbar außer Kontrolle. Daher wäre es souverän, sich auf die Grundsätze der Dialektik zu besinnen, die besagen, dass der Erfolg von Kommunikation auf der Klärung von Inhalten liegt und damit einhergehend ein anderes Verständnis der Welt möglich ist. Also sind der Erwerb von Medienkompetenz und die Förderung von Medienbildung die Basis zur Erweiterung der Wissens-, Bewertungs- und Handlungsdimension – eine bildungspädagogische Maßnahme, die strukturelle Grundlagen für ein souveränes Leben mit Medien schafft.2
1 Vgl. Opaschowski, Horst W.: Wohlstand neu denken. Wie die nächste Generation leben wird. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, 2009. ↩
2 Anmerkung: Der Begriff der Dialektik hat mehrfach Bedeutungswechsel erfahren. In diesem Kontext bezieht er sich auf die antike Philosophie von Plato und Aristoteles, die unter Dialektik einen wechselseitigen Dialog und damit eine Methode zur Wahrheitsfindung verstanden ↩