In den vergangenen Jahrzehnten ist das Aufwachsen junger Generationen in der Mediengesellschaft aus den unterschiedlichsten medienpädagogischen und bildungspolitischen Perspektiven heraus analysiert worden. Dennoch haben die erzielten Resultate bislang noch zu keinem flächendeckenden Umdenken an Schulen geführt. Obwohl regelmäßig das Hineinwachsen von Kindern und Jugendlichen in die Medienumwelt untersucht und die Bedeutung veränderter Kommunikationsgewohnheiten für die Gesellschaft herausgestellt wird, sind die Erkenntnisse daraus wenig zielführend. Medienpräferenzen, Nutzungsstile, kognitive Fähigkeiten und soziale Hintergründe werden in die Überlegungen einbezogen, doch die aktive Auseinandersetzung mit der sozialen und dinglich medialen Umwelt von Schülern bleibt dabei mehr oder weniger außen vor.
Weiterhin wird in kontroversen Debatten um das Verhältnis von Fremd- und Selbstsozialisierung gestritten. Dabei wird übersehen, dass Kinder und Jugendliche sich schon längst autodidaktisch ihr eigenes Medienwissen – auch für den Schulgebrauch – angeeignet haben.1 Die Medienrealität in den Schulen ist ein Abbild davon, wie sich die Gesellschaft medial bildet – oder eben nicht. Die Kommunikationsmöglichkeiten der digitalen Medien tragen zur Emanzipation der Nutzer bei, und daher sollten sich die medienpädagogischen Debatten auf das Verhältnis von Allgemeinbildung und Medienbildung konzentrieren. Eine Balance zu finden zwischen schulischen Bildungskonzepten, den medialen Inszenierungen und dem Nutzungsverhalten im Privaten ist eine der größten Herausforderungen im schulischen Alltag.
Zum erfolgreichen Prozess der Mediatisierung gehört auch die Wechselwirkung von Medien und dem Organisationswandel innerhalb der Schule. Oftmals geht es viel weniger um veränderte Lehr- und Lernbedingungen im Unterricht als um die kommunikativen Prozesse zwischen den Lehrenden und der Schulleitung. Medienpädagogische Konzepte an Schulen können erst dann wirksam greifen, wenn die Kommunikation im Kollegium funktioniert. Kommunikation in der schulischen Organisation ist der zielführende Aspekt und die Basis für die erfolgreiche Implementierung digitaler Medien in den Unterricht.2 Um Einigkeit darüber zu erzielen, wie Medien als didaktische Hilfsmittel im Unterricht wirken sollen und wie digitale Medien als Werkzeuge für die Schüler zielführend eingesetzt werden können, kann ein anderes Verständnis für die Bedeutung des Kommunikationsbegriffs hilfreich sein. Solange Kommunikation und digitale Bildung nicht als eine voneinander abhängige Einheit betrachtet werden, sind die gesellschaftlichen Kulturprogramme weiterhin vom Bildungslabor Schule abgespalten.
Bislang gibt es kaum sichere Informationen darüber, in welchem Umfang und in welcher Qualität Medien kompetent und nutzbringend in den Unterricht eingebaut werden. Zudem liegen geringe Informationen vor, wie, wann und zu welchen Zwecken Lehrkräfte digitale Medien einsetzen. Die Frage, wie die innerschulischen und externen Rahmenbedingungen aussehen, um Medien integrativ in den Unterricht einzubinden, bleibt weiter unbeantwortet.
Welchen Beitrag leistet nun das Schulmanagement zur Integration digitaler Medien in die schulische Alltagspraxis?
Damit überhaupt neue Lehr- und Lernprozesse entstehen können, müssen diese erst einmal konkret gefördert werden.3 Solange jedoch der Nutzen digitaler Medien als wertvolles Instrument zur Strukturierung des Unterrichts in Frage gestellt wird, solange wird auch das Potenzial der Medien für Selbstlernprozesse nicht ausreichend genutzt. Medienpädagogische Kompetenz darf nicht erst bei den Schülern beginnen, sondern die gesamte Schulkultur ist daraufhin auszurichten. Mit Einführung der kommunikativen Didaktik könnte eine grundlegend andere Perspektive auf den Unterricht und dessen Fragestellungen eingenommen werden, in der Lehr- und Lernprozesse als soziale Prozesse wahrgenommen werden.
Dabei übernimmt die Schule die Rolle einer „Kommunikationsgemeinschaft“, in der Schüler die Chance zu selbstständigem Lernen erhalten. Das Ziel wäre die Reflexion von Wirklichkeit und deren Transformation in neue bildungs- und lerntheoretische Prozesse. Im Mittelpunkt steht dabei der Begriff „kommunikativ“, der nach innen einwirkt und aktiv in die sozialen und menschlichen Aspekte vordringt. In den Fokus rückt hierbei die symmetrische Form der Kommunikation, die dazu beitragen kann, Lehr- und Lernprozesse offen zu gestalten und dabei so auch die Vielfalt von Kulturprogrammen heutiger Lebenswelten einfließen zu lassen. Der Unterrichtsprozess ist kein geschlossenes System, sondern ein Lehr- und Lernprozess, in dessen Mittelpunkt die Identitätsentwicklung der jeweiligen Lernenden steht.4 Symmetrische Kommunikation5 entspricht nicht den gegenwärtigen Verhältnissen, sondern ist eine Aufgabe, auf die alle Beteiligten hinarbeiten können. Die kommunikative Didaktik ist ein offenes System ohne Gültigkeitsanspruch.6 Die jüngere Form ist die kritisch-kommunikative Didaktik, die sich aus der bildungstheoretischen und lerntheoretischen Didaktik entwickelt hat. Sie ist nicht nur auf Kommunikation ausgerichtet, sondern versteht sich auch als eine kritische und reformerische Instanz.7 „Die kritisch-kommunikative Didaktik will also in Form von Strukturanalysen die Komplexität des Unterrichts deskriptiv-empirisch erfassen, aber nicht nur die Faktoren und Baumaterialien des Unterrichts benennen, sondern die Baugesetze und Pläne unterrichtlicher Prozesse hermeneutisch erschließen und kritisch für eine permanente Verbesserung von Unterricht einsetzen.“8
Klafki hat seinen früheren bildungstheoretischen Ansatz über den kritisch-kommunikativen Ansatz entwickelt, der zur kritisch-konstruktiven bildungstheoretischen Didaktik führt – einer Didaktik, die sich an wissenschaftstheoretischen Ansätzen wie der Hermeneutik und der Empirie orientiert. Dabei hebt Klafki hervor, dass hermeneutische Verfahren vor empirischen Fragestellungen stehen bzw. diese begleitend unterstützen. Didaktische Entscheidungen werden von gesellschaftlichen Entwicklungen beeinflusst und haben daher auch gesellschaftliche Auswirkungen. Nach Klafki sind alle drei wissenschaftstheoretischen Ansätze (der bildungstheoretische, der kritisch-kommunikative und der kritisch-konstruktive bildungstheoretische Ansatz) eng miteinander verflochten.9 Das Zusammenwirken dieser Theorien führt Klafki auf die Frankfurter Schule und speziell auf Jürgen Habermas zurück: „Die Reflexion auf die Bedingungen, die Grenzen und die Konsequenzen jedes einzelnen Ansatzes zeigt dessen Ergänzungsbedürftigkeit durch die jeweils anderen im Sinne einer konstruktiven Synthese. Jeder Ansatz schließt nämlich Voraussetzungen ein, beruht – mindestens implizit – auf Annahmen, deren Gehalt und Gültigkeit nur durch die jeweils anderen Ansätze wissenschaftlich überprüft werden kann.“10
1 Vgl. Süss, Daniel; Wieler, Petra: Veränderte Bedingungen des Medienhandelns in der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. In: Dahind, Urs; Süss, Danile (Hrsg.): Medienrealität. UVK, Konstanz, 2009, S. 18. ↩
2 Vgl. Breiter, Andreas et al.: Mediatisierung schulischer Organisationen. In: Hepp, Andreas; Krotz, Friedrich (Hrsg.): Mediatisierte Welten: Beschreibungsansätze und Forschungsfelder. VS, Wiesbaden, 2012, S. 113–135. ↩
3 Vgl. http://www.ifib.de/publikationsdateien/101120-Vortrag_Medienmesse_Essen_Breiter_final.pdf. Letzter Zugriff: 7. September 2015. ↩
4 Vgl. Kron, Friedrich W.: Grundwissen Didaktik. 5. Aufl., UTB, Stuttgart, 2008, S. 172–176. ↩
5 Vgl. Watzlawick, Paul; et al.: Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien. 12. Aufl., Huber, Bern, 2011, S. 68ff. Anmerkung: Zwischenmenschliche Kommunikation läuft entweder symmetrisch oder komplementär ab. Diese Beziehungsformen beruhen entweder auf Gleichheit oder Unterschiedlichkeit der Kommunikationspartner. Bei der symmetrischen Kommunikation begegnen sich zwei Menschen auf gleicher Ebene in einen kommunikativen Kontakt. Diese Kommunikationspartner sind gleichberechtigt. Bei Paul Watzlawick wird der Kommunikationsbegriff gleichrangig mit dem zwischenmenschlichen Verhalten geführt. Nonverbale Signale wie Körperhaltung, Körpersprache, Mimik und Gestik üben den gleichen Einfluss wie gesprochene Worte aus. (Vgl. Heidenreich, Klaus; Lacher, Berthold: Psychologie Training. Stark, Freising, 1998, S. 162). ↩
6 Vgl. Popp, Walter: Kommunikative Didaktik: Soziale Dimensionen des didaktischen Feldes. Beltz Studienbuch, Weinheim/Basel, 1976, S. 257. Anmerkung: Die Orientierung an Kommunikationstheorien eröffnet einen anderen Blick auf didaktische Ansätze und ermöglicht eine andere Reflexion lerntheoretischer und bildungsökonomischer Ansätze. Die kommunikative Didaktik ist ein Versuch, didaktisches Handeln auf kommunikativer Ebene neu zu artikulieren. ↩
7 Vgl. Bolland, Angela: Forschendes und biografisches Lernen. Das Modell Forschungswerkstatt in der Lehrerbildung. Klinkhardt, Bad Heilbrunn, 2011, S. 126f. ↩
8 Winkel, Rainer: Die kritisch-kommunikative Didaktik. In: Gudjons, Herbert; Winkel, Rainer (Hrsg.): Didaktische Theorien. Bergmann & Helbig, Hamburg, 1998, S. 93–113. ↩
9 Vgl. https://edoc.ub.uni-muenchen.de/8905/1/Launer_Rebecca.pdf. Letzter Zugriff: 9. November 2015. ↩
10 Klafki, Wolfgang; Grundzüge kritisch-konstruktiver Erziehungswissenschaft. Marburg, 1998. http://archiv.ub.uni-marburg.de/sonst/1998/0003/k04.html. Letzter Zugriff: 9. November 2015. ↩