Über Bildung an Schulen wird ja immer viel disputiert. Insbesondere über das was und wie es vermittelt werden soll: Das Wissen, welches das Individuum Schüler später befähigt, voranbringender Teil einer Gesellschaft zu werden. Schule als gesellschaftliche Institution, als „Bildungslabor von Gesellschaft“, soll – in Gruppen organisierte – Allgemeinbildung vermitteln. Also das kumulierte basale Wissen, was die Gesellschaft für wertbildend und notwendig für junge Menschen erachtet, um diese dann zu aktiver Mitgestaltung an gesellschaftlicher Prosperität zu befähigen.
Schule soll also ein „Rüstzeug“ an Wissen mitgeben, welches zu „Bildung“ befähigt und führt. Bildung wird oft als „eine Qualität von Entwicklung, die zum Menschsein und zur Selbstbestimmung gehört“ beschrieben.
Bildung wird in der gängigen pädagogischen Lehre immer als fokussiert auf den Einzelnen, das Individuum wahrgenommen. Als sich selbst bestimmende (!) Existenzform. Wilhelm v. Humboldt’s humanistischer Bildungsansatz propagiert die Individualität als innere Formkraft: „ICH und die Welt…“.
Jürgen Habermas denkt es in seiner Theorie der kommunikativen Kompetenz ebenso auf das Individuum bezogen: „Die Ich-Identität als Eigenschaft des handlungsfähigen, kritisch-aktiv gestaltenden Subjekts“. Er relativiert den rein individualistischen Ansatz zwar, in dem er schreibt: „Der Mensch wird durch die soziale Wirklichkeit beeinflusst und gestaltet diese mit„.
Aber Ziel ist auch bei Habermas die „Empanzipation des Individuums“ und die „kritische Reflexion über Gesellschaft„, gerade so, als stünde das gebildete Individuum judizierend über oder neben der aus der individuellen Sicht per se prekären Gesellschaft, welche es ja „kritisch zu reflektieren“ gilt.
Folgerichtig verfolgt die Pädagogik an Schulen in der Lehre einen hoch und immer höher werdenden individuellen Bildungsansatz, immer am jeweiligen Schüler ausgerichtet: Lernfeldorientierte Kompetenzvermittlung, selbstorganisiertes Lernen, individualisieter Unterricht, Binnendifferenzierung, zusätzlicher pädagogischer Förderbedarf, individueller Nachteilsausgleich und nicht zuletzt „Inklusion“ – was zwar begrifflich Anderes meint, aber trotzdem als hochindividuelle und differenzierte Unterweisung an Regelschulen stattfindet – sind nur einige Schlagworte, welche Beleg für schulische Wissens- und Kompetenzbildungsausrichtung am Individuum sind.
Bildung wird also an Schulen durch die Pädagogik primär instrumentell, ausgerichtet auf die Bedürfnisse des jeweiligen Individuums wahrgenommen. Weniger scheint die gesamtgesellschaftliche Facette des Bildungsbegriffes im Sinne einer Allgemeinbildung und die Einbettung in ein gesellschaftliches Ganzes im momentanen Fokus von Schulen zu sein.
Wo früher noch durch ein mehrgliedriges Schulsystem eine gewisse Lerngruppen-Homogenität in abgestufter und nachprüfbarer Standardisierung von Wissen gegeben war, ist heute – trotz Verschlankung und Vereinheitlichung von Schulformen – eine ungleich höhere Bildungsheterogenität zu beobachten, die trotz identischer Abschlusszertifizierung und formal gleicher Noten de facto in Abhängigkeit zur Verkehrssprache, zur Region, zum Stadtteil und der jeweils besuchten Schule steht.
Ob so die Bourdieu’sche Habitualisierung jemals aufgebrochen werden kann? Norm der sozialen Gerechtigkeit in Schulbildung ist doch gerade die Chancengleichheit, was gleichzeitig dann auch in Monokausalität gleiche Allgemeinbildung als schulischem Output-Konsenz bieten muss. Nicht nur in der überall wohlfeil bescheinigten Studiums-Reife, welche einen überall gleichen Bildungsstand suggeriert.
„Waffengleichheit“ muss also hergestellt werden. Im tatsächlich vorhandenen und gleichem Wissen der Aktanten. Lernprozesse müssen gesellschaftlich verstanden werden, nicht als Individualisierung von Wissen. Denn Basis-Wissen „lebt“ letztendlich im gesellschaftlichen Kontext nur durch Kommunikation. Durch die Anwendung, die Weitergabe und das Teilen des Wissens mit anderen.
Gesellschaft ist kommunikativ konstruiert. Sie war es schon immer. Durch den gesellschaftlichen Wandel hin zur digitalisierten Netzwerkgesellschaft potenziert sich dieser Effekt jedoch, da die digitalen Medien dieses Beziehungsgeflecht innerhalb der Gesellschaft vervielfältigen.
(Gesellschaftliche) Bildung ist also nur eine Umschreibung für Beziehungs- bzw. Kommunikationsverhältnisse. Eine „Einbettung“ des Individuums in ein gesellschaftliches Ganzes muss in einer Mediengesellschaft schulisch mehr beachtet werden, da der gesellschaftliche Wandel durch die Digitalisierung einen anders gelagerten Stellenwert von Individualität schafft. Mehr „pars pro toto“ der Kommunikation denn kritische Individualität.
Keiner fragt nach, ob schulische Individualisierung in der Bildung gar den verfassungsmäßig vorgegebenen Gleichheitsgrundsatz verletzt…
Mehr Fokus auf den Begriff der „lernenden Gesellschaft“ scheint schulisch vonnöten:
„Die Gesellschaft, in der wir heute leben, wird immer weniger von der Produktion materieller Güter bestimmt, immer mehr aber vom Austausch von Informationen und Wissen sowie von der kommunikativen Vernetzung. Vor allem in den Bereichen Politik, Wirtschaft, Technik und Bildung entwickeln sich Kompetenzzentren der kommunikativen Vernetzung von Daten, Informationen und Wissen.“
Digitale Kommunikation verdichtet unsere Kulturprogramme. Der Trend der Netzwerkgesellschaft geht weg von einer Ansammlung von Individuen und bildungstechnischer Strandburgmentalitäten. Wird die „Schwarmintelligenz“ das neue Paradigma der Bildung von Gesellschaften?
Die Online-Konferenz in Australien oder der Geschäftspartner in Indien ist heute auf dem 16:9 Flatscreen nur einen Webcam-Mausklick entfernt.
Quellen:
http://www.gpi-online.de/upload/PDFs/EU-Media/_Bauer-Medienbildung_in_der_Mediengesellschaft.pdf
http://www.gpi-online.de/upload/PDFs/EU-Media/_Bauer-Kommunikationskulturen_im_Wandel1.pdf
http://www.nachhaltigkeit.info/media/1245329429phpPCezy9.pdf (S. 2)
http://www.bmbf.de/pub/aktionsprogramm_lebensbegleitendes_lernen_fuer_alle.pdf (S. 12f.)
http://www.welt.de/print/wams/article129082343/Abitur-fuer-alle.html
Ich denke die Schule wird ihre Arbeitsmethoden in den nächsten Jahren grundsätzlich verändern, wenn sie den gesellschaftlichen Ansprüchen irgendwie gerecht werden will. Frontalunterricht wird dann durch frontalen Medienunterricht ersetzt werden. Lehrer unterrichten dann nicht mehr direkt, das geht mit anspruchvollen Filmen i.d.R. besser, sondern er moderiert anschließend Gruppenprozesse, die das gelernte vertiefen. Hier macht dann auch unser Unterricht, der von der Nachhilfe zur Förderung und Ergänzung des schulischen Angebots wird weiter Sinn. (Gesllschaftlich notwendige) Spezialisierung kann dann von unseren Nachhilfelehrern anschließend geleistet werden.