Bei der Vielfalt an bildungspolitischen Debatten wird zunehmend vergessen, um wen und um was es eigentlich geht. In den kommenden 30, 40 Jahren wird eine neue Generation von Kindern und Jugendlichen heranwachsen, die mit völlig anderen Bildungsanforderungen konfrontiert wird als die heutige. Kultur, Gesellschaft, Politik und Wirtschaft werden nicht mehr das sein, was sie einmal waren. Die nächsten Generationen müssen sich wahrscheinlich mit kulturellen Überlieferungen auseinandersetzen, die weit entfernt sind von ihren eigenen Lebensformen. Die äußeren und inneren Lebensbedingungen werden sich weiterhin radikal und global verändern, was sowohl individuelle als auch kollektive Lernprozesse erforderlich macht.
Zur Bewältigung anstehender gesellschaftlicher und politischer Umwälzungen benötigen junge Menschen einen modernen Bildungsbegriff, der auf ihre Lebensrealität zugeschnitten ist und an dem sie sich orientieren können, einen Leitbegriff, auf dem ein neues Selbst- und Wirklichkeitsverständnis aufgebaut werden kann. Bildung muss für Schüler als etwas wahrgenommen werden können, das über seine Funktionalität hinaus die Bedeutung von Freiheit und Gleichheit impliziert – ein humanitärer Bildungsbegriff, der den ökonomischen und kapitalistischen Zwängen standhalten kann und die individuellen Stärken fördert; ein Bildungsbegriff, der der Dynamik einer modernen Gesellschaft gewachsen ist und die Förderung der eigenen Interessen für das Gemeinwohl beinhaltet.
Die globale Dynamik könnte künftig auch auf die gegenwärtigen demokratischen Prozesse Einfluss nehmen. Daraus resultieren neue Handlungssysteme und Regeln, die eine andere schulische Bildung und pädagogische Erziehung erforderlich machen.1 Die Bildung der Zukunft wird sich einem prinzipiellen Globalisierungsanspruch anpassen und dabei ethische und interkulturelle Perspektiven einnehmen müssen. Zu einer neuen Konzeption der Allgemeinbildung müsste dann auch eine intergenerationelle Kommunikation im Hinblick auf ein verändertes Lehrer-Schüler-Verhältnis gehören. Pädagogisches Handeln wird unter anderen Voraussetzungen stattfinden, weil sich mit den digitalen Medien neue Möglichkeitsräume für die Heranwachsenden erschlossen haben. Die Transformation der Welt- und Selbstverhältnisse sollte Bestandteil des sozialen Prozesses von schulischer Bildung werden, damit Kinder und Jugendliche einen selbstreflektorischen Umgang mit Krisen und Brüchen lernen. Daraus erwächst eine Bildungskultur, die sich in veränderten Kommunikationsprozessen widerspiegelt. Künftig wird es in der Bildung junger Menschen nicht mehr nur um die Entwicklung von Können und Wissen gehen, sondern um die Fähigkeit zu Selbstbestimmtheit und verantwortlichem Handeln, um sich in der komplexen Welt zurechtzufinden.2
Junge Menschen wissen sehr wohl, dass sich ihre Lernumgebungen in den kommenden Jahren radikal verändern müssen. Sie sind gut informiert über die globalen Ansprüche einer digitalen Bildung und wünschen sich diese verstärkt in den Unterrichtskontext. Für einen Großteil der Schüler ist es nicht nachvollziehbar, weshalb die Einbindung digitaler Medien in den Unterricht an deutschen Schulen nicht flächendeckend verläuft. Unverständnis herrscht darüber, weshalb an veralteten Lehrmustern festgehalten wird, wenn mit innovativen Möglichkeiten moderner Technik zeitgemäßes Wissen vermittelt werden kann. Es ist nicht weiter verwunderlich, dass sich viele Kinder und Jugendliche dem traditionellen Lernen verweigern, weil beispielsweise der klassische Frontalunterricht nicht mehr mit den Bedürfnissen und Lebenssituationen der Schüler vereinbar ist. Solange die virtuelle Welt nicht aktiv und dauerhaft in den klassischen Präsenzunterricht integriert wird, wird sich auch das Bildungsdilemma nicht auflösen. Das Faktenwissen der Achtzigerjahre verliert an Gültigkeit, weil das alte Bildungsideal keine Relevanz mehr hat. Wissen definiert sich in Zukunft anders. Für vergangene Generationen galt noch: Je mehr Wissen im Kopf, desto gebildeter. Heute müssen Kinder und Jugendliche alle Möglichkeiten kennen, wie und wo sie ihr Wissen über technische Geräte abrufen. Der Schlüsselbegriff lautet auch hier wieder: Medienkompetenz. Bereits in den Sechzigerjahren hat der Medientheoretiker Marshall McLuhan prognostiziert, dass wir unsere Gehirne immer mehr auf die Computer auslagern werden, weil der Versuch, mit der enormen Speicherkapazität des Computers zu konkurrieren, zum Scheitern verurteilt ist.3
Die heranwachsende Generation hat das bereits erkannt und die Spielregeln zwischen Mensch und Computer akzeptiert. Hinsichtlich des kulturellen und gesellschaftlichen Wandels ist deutlich erkennbar, dass die junge Generation dabei ist, sich mit allen ihnen zur Verfügung stehenden technischen Innovationen einen modernen Zugang zu Wissen und Bildung zu verschaffen. Junge Menschen wollen den Computer als Assistenten nutzen, der ihnen das Leben erleichtert und Freiräume für die Gefühlsebene schafft. Die neue Schülergeneration wartet nicht auf bildungspolitische Programme und deren Umsetzung – mit ihrem Smartphone haben sie schon längst ihre eigene Verantwortlichkeit fürs Lernen mitgebracht. Nur brauchen sie jetzt auch Partner, der ihre sozialen, kognitiven und methodischen Kompetenzen begleitet und unterstützt. Dieser Partner ist der Lehrer. Dann kann aus Bildung auch Zukunft werden.
1 Vgl. Peukert, Helmut: Zur Neubestimmung des Bildungsbegriffs. In: Meyer, Meinert A.; Reichartz, Andrea (Hrsg.): Bildungsgangdidaktik. Denkanstöße für pädagogische Forschung und schulische Praxis. Springer Fachmedien, Wiesbaden, 1998, S. 17f. ↩
2 Vgl. Meyer, Meinert A. et al. (Hrsg.): Perspektiven der Didaktik. Zeitschrift für Erziehungswissenschaften, Sonderheft 9/2008. VS, Wiesbaden, 2009, S. 128f. ↩
3 McLuhan, Marshall: The Gutenberg Galaxy. University of Toronto Press, Toronto, 2011. ↩