Der pädagogische Einsatz digitaler Medien im Schulunterricht offenbart eine Menge an Problemzusammenhängen. Im Zuge der Digitalisierung und der Medienkonvergenz sind Schüler heutzutage allerorten in mediatisierte Kommunikationspraktiken eingebunden, die Einfluss auf die weitere Sozialisation nehmen. Laut dem Soziologen Klaus Hurrelmann definiert sich der Sozialisationsbegriff heute folgendermaßen: „Sozialisation bezeichnet den Prozess, in dessen Verlauf sich der mit einer biologischen Ausstattung versehene menschliche Organismus zu einer sozialen handlungsfähigen Persönlichkeit bildet, die sich über den Lebenslauf hinweg in Auseinandersetzung mit den Lebensbedingungen weiterentwickelt. Sozialisation ist die lebenslange Aneignung von und Auseinandersetzung mit den natürlichen Anlagen (…), die für den Menschen die innere Realität bilden, und der sozialen und physikalischen Umwelt, die für den Menschen die äußere Realität bildet.“1
Eine ähnliche Begriffsbestimmung, aus der sich aber andere Konsequenzen entwickeln, ist bei Pierre Bourdieu zu finden, der die Habitualisierung eines Menschen an den gesellschaftlichen Bedingungen festmacht. Das bedeutet, dass sich aus der Disposition eines Menschen – mit seinem Denken und Handeln – Rückschlüsse auf dessen sozialen Ort und seiner Gruppenzugehörigkeit ziehen lassen. Bourdieus Gesellschafts- und Sozialisationstheorien verweisen deutlich auf den limitierenden Charakter des Habitus und sehen die Position eines Menschen im sozialen Raum unmittelbar als Folge seiner Sozialisation.
Überträgt man nun Bourdieus Sozialisationstheorie auf den schulischen Alltag von Lernenden, erscheint die aktive Einflussnahme der Lehrenden auf den Bildungsverlauf von Schülern geringer, als es die offiziellen Bildungstheorien und Aussagen der Bildungspolitiker glauben machen wollen. Die Aktualität der Habitus-Theorien nach Bourdieu ist insofern bemerkenswert, als sich zwar die politischen und pädagogischen Voraussetzungen verändert haben, es bislang aber keine weiterführenden wissenschaftlichen Erklärungen und Lösungen für pädagogisches Handeln im gesellschaftlichen Bildungskontext gibt. So könnte die Hypothese aufgestellt werden, dass der Mensch genau das ist, was die Sozialisation ihm vorgegeben hat.
Wenn bei Bourdieu von Kulturkapital die Rede ist, dann ist in Bezug auf die Bildungschancen von Lernenden von einer symbolischen Aneignung die Rede, in der sich objektiviertes und inkorporiertes Kulturkapital miteinander vermischen. Zur erfolgreichen Anwendung von Objekten – seien es traditionelle Lehrmittel oder die Nutzung Neuer Medien – gehören Fähigkeiten und Kenntnisse in inkorporierter Form. Da inkorporiertes Kulturkapital – zum Beispiel die Sprachprägung – keine angeborene Eigenschaft ist, ließe sich mit gezielter pädagogischer Unterstützung ein Zugang zu notwendigen Bildungsressourcen schaffen, die zu einer erfolgreichen gesellschaftlichen Teilhabe führen können. Blickt man auf die mediale Sozialisation im Bildungskontext, verstärkt sich der Eindruck des sozialen Ungleichgewichts, weil sich die gesellschaftlichen Machtsysteme zunehmend auch im schulischen Umfeld manifestieren.
So steht im Mittelpunkt der Arbeit unter anderem die Ausarbeitung der Zusammenhänge zwischen den mediatisierten Kommunikationspraktiken und dem Wandel der Sozialisation von Lernenden im Bildungsumfeld Schule. Leitende Fragestellungen sind hierbei der Einfluss von Mediatisierungsprozessen auf den Wandel der Lernbedingungen, die damit einhergehenden Prozesse sowie deren Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche. Dabei ist die Relevanz der Aneignung von Wissen durch digitale Medien auf die veränderte Sozialisation von Lernenden und der Wandel innerhalb der gesellschaftlichen sozialen Beziehungsnetze zu untersuchen. Es wäre somit die Frage zu erörtern, ob es Anknüpfungspunkte zu interdisziplinären Theoriebildungen gibt, die eine Analyse für den Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in der Medienpädagogik ermöglicht. Wie lassen sich also komplexe und dynamische Wandlungsprozesse zusammenfassen, sodass sie einen sinngebenden Überblick über die Bedeutung digitaler Medien im Sozialisationsprozess geben, der sich maßgeblich auf den Bildungsverlauf der Lernenden auswirkt?
To be continued…
1 Hurrelmann, Klaus: Einführung in die Sozialisationstheorie. 8. Aufl., Beltz, Weinheim, 2002, S. 11. Anmerkung: Hurrelmann macht seine Argumentation primär an den Überlegungen zur menschlichen Sozialität in der Tradition des Symbolischen Interaktionismus (Blumer 1973; Mead 1968) fest. Ausgangspunkt für den Sozialisationsprozess sind demnach die sozialen Interaktionen, in denen gesellschaftlich geteilte Bedeutungen vermittelt, neu erworben und auch individuell verändert werden. Das bedeutet im thematischen Kontext dieser Arbeit, dass die medienbezogenen Wandlungsprozesse im schulischen Umfeld unmittelbar Auswirkungen auf das Kommunikationsverhalten von Schülern im von digitalen Medien durchdrungenen Unterricht haben. ↩