Medienkompetenz an Schulen – Eine Frage der Verantwortung?

In Berlin ging am Donnerstag die re:publica14 zu Ende, in die die re:learn-Konferenz eingegliedert war, welche sich primär mit der Einbeziehung neuer Medien in schulische und bildende Lernprozesse auseinander setzte. Digitale Medien bestimmen mittlerweile unseren Alltag, die Beherrschung der kommunikativen „digitalen Klaviatur“ zählt mittlerweile zu den Kernkompetenzen gesellschaftlicher Bildung.

Allenthalben wird von den die Bildungsprozesse Gestaltenden „Medienkompetenz“ beschworen. Als Schlüsselfertigkeit ja unbedingt vonnöten für aktive Teilhabe am gesellschaftlichen Wertschöpfungsprozess. Für Schüler und Schülerinnen heutzutage also offensichtlich genauso essenziell wie basale Kompetenzen in Mathematik, Deutsch und der ersten Fremdsprache (und noch so – je nach Schulart – das eine oder andere mehr).

Der Staat hat einen Teil des Bildungs- und Erziehungsauftrages der Kinder übernommen übernommen, ja „sich vertraglich zusichern lassen“ (Art. 7 GG). Damit geht natürlich auch die Verantwortung und Verpflichtung einher, an den staatlichen Bildungslaboren Schule das Wissen und die Kenntnisse weiterzugeben, die Heranwachsende zur aktiven Teilhabe in der Leistungsgesellschaft zwingend benötigen und produktiv verwerten können.

Das bedeutet auf der einen Seite zu einem nicht unerheblichen Teil die Herausbildung eines „kritischen Bürgers“, orientiert am Humboldt’schen humanistischem Bildungsansatz und modern weitergedacht über die Habermas’sche „Ich-Identität“.

Aber eben auch die Vermittlung von rekapitulierbarem Basiswissen, welche für die von der Gesellschaft geforderte grundlegende Allgemeinbildung von Heranwachsenden wichtig sind. Dazu gehören – unbestritten – die Grundlagen der Verkehrssprache und eben die Dinge, die man im Konsens der 16 Länder unserer Föderation (ja, auch wir sind ein föderativer Staat) so als allgemein notwendig erachtet.

Nun ändert sich bekanntlich die Umwelt permanent auf einer Zeitachse und damit verändern sich auch die Kenntnisanforderungen, welche an junge Menschen gestellt werden. Weshalb logischerweise das Wissen, welches an den Bildungseinrichtungen des Staates vermittelt wird, permanent einer Nachbesserung bedarf. Was ja per se nicht unbedingt eine neue Erkenntnis ist.

Das Bestreben des Staates scheint darin zu bestehen, für die Bildung des Nachwuchses stets nach dem Minimierungsprinzip nur das Notwendigste an monetären Mitteln bereit zu stellen. Vielleicht eine recht kurzfristige Betrachtung wenn man bedenkt, dass die in der Schule herangebildeten jungen Menschen ja dereinst den von der vorangegangenen Generation erarbeiteten gesellschaftlichen Wohlstand sichern, diesen prosperierend erhalten und vorantreiben sollen. Schon allein, damit die Rente ab 63 von der dann in bezahlter Arbeit Befindlichen bezahlt werden kann. 😉

Weshalb sich die Frage stellt, wie die Allokation endlicher Ressourcen (Steuergelder) möglichst zielgerichtet an Schulen eingesetzt wird, stets die ökonomisch-gesellschaftlichen Anforderungen im Hinblick auf das Ende der staatlichen Schulzeit (qualifizierender Schulabschluss) im Auge behaltend.

Natürlich ergeben sich hier für die Bildungspolitik immer ein Haufen von „schulischen Baustellen“, welche teils weltanschaulich selber verursacht („Schule für alle“, G8-Verkürzung, Inklusion, Zwei-Säulen-Modell etc.) und letztendlich in für Schüler unproduktiven Reformen ausarten, aber natürlich auch durch gesellschaftliche Veränderungen und sich dadurch ergebende Sachzwänge oktroyiert sind.

Einer dieser Sachzwänge ergibt sich durch Digitalisierung der Gesellschaft und durch die daraus neu erwachsenden Anforderungen der Qualifikation von Schulabgängern. Hier hilft leider kein Rückzug auf anachronistische und reformpädagogische Bildungs- und Erziehungspositionen, kein Beharren auf weltanschaulichen, realitätsfernen Grundhaltungen, keine Parteipolitik weiter. Hier muss eine staatliche Bildungseinrichtung sich schleunigst bewegen, wollen diese nicht den Bildungsauftrag aus der Hand geben und wir nicht als Kulturprogramm und Motor Europas in der Qualifikation unserer Kindern den Anschluss verlieren.

Medienkompetenz gehört an staatlichen Schulen implementiert und umgesetzt, um unsere Kinder valide auf die Zukunft vorzubereiten und die Prosperität unserer Wirtschaft zu erhalten. Das ist schon deswegen Aufgabe des Staates, weil man schlicht nicht bei allen Eltern einen entsprechenden Kenntnisstand voraussetzen kann, um Ihnen die Vermittlung von Medienkompetenz alleine überlassen zu können. Logisch, denn auch nicht jede Mutter oder Vater hat Germanistik, Anglistik oder Mathematik studiert.

Und weil das so ist, finanzieren wir als Gesellschaft über unsere Steuergelder staatliche Bildungseinrichtungen, welche dann das entsprechende Basiswissen an unsere Kinder zu vermitteln haben. Mit den entsprechenden Ressourcen und qualifiziertem und motiviertem Personal.

Ausgestaltung von „Medienkompetenz“ im Lernfeld Schule erschöpft sich an vielen Schulen dadurch, dass sich ein Lehrer eine Hausarbeit per E-Mail zusenden lässt, dass eine Schule ein Smartboard hat, welches zufälligerweise auch mal funktioniert, dass eine Fachlehrerin tatsächlich mal über einen Stream ein YouTube Video im Bio-Unterricht anschauen lässt.

Mit Verlaub: Das ist keine Vermittlung von Medienkompetenz an staatlichen Bildungseinrichtungen. Das ist Pseudo-Mediatisierung und Verschwendung von Geld, Zeit und Ressourcen. Leider noch nicht, was einer Umsetzung eines staatlichen Bildungsauftrags gemessen an den derzeitigen gesellschaftlichen Ansprüchen an Allgemeinbildung auch nur entfernt entsprechen würde.

Hier geben Schulen und Lehrer letztendlich mit digitalen Medien nur analoge Lernmethoden wieder und optimieren so nur – wie Prof. Woodtli es in seinem Vortrag auf der re:learn 14 ausgedrückt hat – die „Belehrungskultur“ und verstärken tradierte Denkmuster von Wissensvermittlung.

Medienkompetenz als Grundschema beinhaltet nach dem Erziehungswissenschaftler und Medienpädagogen Dieter Baacke mehr, nämlich diese 4 Dimensionen. Und das schon seit 1973:

  • Medienkritik: Kritische Reflexion und differenzierte Betrachtung des Angebotes, was nur mit Hintergrundinformationen geht
  • Medienkunde: Instrumentell-qualifikatorische Fähigkeiten
  • Mediennutzung: Man muss auch digitale Medien anwenden können
  • Mediengestaltung: digitale Medien aktiv und kreativ-gestaltende innovative Fähigkeiten

Soweit mal der wissenschaftstheoretische Unterbau.

Aber wie werden diese vier Dimensionen schulisch effizient vermittelbar? Wie können neue Medien im Unterricht so eingesetzt werden, dass es nicht nur einfach analoge Kanäle nur durch einen digitalen Kanal ersetzt werden?

Es geht. Mal zwei Beispiele:

Kennen Sie minecraft? Ja. Kennen Sie auch minecraft.edu? Warum nicht mal im Kunstunterricht digitale Welten gestalten?

Kennen sie half-live? Oder andere Ego-Shooter? Kommen ihnen als Lehrer nicht in die Klasse? Warum nicht mal tradierte Denkmuster aufheben und das ausnutzen, wozu uns die Digitalisierung befähigt: Die Erweiterung von Abstraktionsebenen. Der Deutsch-Lehrer kennt die Struktur des Dramas und Gustav Freytags pyramidalen Aufbau. Klar, muss er. Soll er ja bekanntlich den Schülern heutzutage vermitteln. Und das auch bei Schülern, die klassische Werke allenfalls noch aus der familiären Bücherspende fürs Seniorenheim kennen, wenn überhaupt. Warum nicht den pyramidalen Unterbau des Dramas mal an Hand eines Ego-Shooters herausarbeiten? Mumpitz?! Nö! Nein: Medienpädagogik: Prof. Jan Boelmann macht’s vor.

Umsetzung von Medienkompetenz an Schulen ist bislang vornehmlich Einzelinitiativ. Was tun die Bildungsministerien? Manche Bundesländer sind schon ziemlich weit, wie Niedersachsen, die Curricula haben und Evaluationsberichte veröffentlichen können (Klar, da war Frau Prof. Wanka vorher Bildungsministerin, könnte man meinen ;-)).

Hamburg hat es immerhin im Februar 2014 schon mal zu einem Rahmenkonzept gebracht und möchte nicht so viel Geld ausgeben: „Partner aus der Wirtschaft sollen für die Umsetzung gewonnen werden“. Ob man das Problem der Entdemokratisierung und des digitalen Analphabetismusses mit „Projekten“ flächendeckend lösen kann?

Das Rahmenkonzept Hamburg zur Medienkompetenzförderung stellt auf S. 9 zur LA-Ausbildung fest: „Medienpädagogik und Medienkompetenzförderung sind jedoch innerhalb der Curricula kein verpflichtendes Fach“ (auch die bisherige Umsetzung in den Bildungswissenschaften erreicht nur einen Teil der LA-Studierenden S. 14) und für die an Schulen tätigen Lehrkräfte auf S. 10: „Alle Beteiligten stehen vor der Herausforderung, die permanenten Veränderungen der medial geprägten Lebenswelt mit zu vollziehen und die Lehr-, Lern und Unterrichtspraxis diesem Wandel kontinuierlich anzupassen.“

Gleich dahinter unter Punkt 3.1.2.1.: „Medienerziehung wird als fächerübergreifendes Aufgabengebiet verpflichtend für alle Schulformen und Jahrgangsstufen unterrichtet.“

O.k., denn ist ja alles gut: Die Lehrkräfte an den Schulen haben zwar Medienkompetenz nicht in ihrer Lehramtsausbildung (gehabt), weil es an den Hochschulen eben nicht im LA-Studium unterrichtet wird, können es aber selbstverständlich unterrichten und tun dies auch…

Aber das LI bietet seit 2013 Fortbildungsveranstaltungen zur Medienkompetenzförderung für alle Hamburger Lehrerinnen und Lehrer an. Verbindlich für alle LuL’s? Nö, nur für die Schulleitungen (S. 15)

Aber immerhin wurden an Hamburger Schulen im Jahr 2010 620 Netbooks verteilt (S. 12). Mit vier Jahre alten Netbooks kann man heute sicherlich in den Pausen zumindest noch Tetris spielen und das Unterrichtsfach Informatik wurde als eigenständiges Pflichtfach in Hamburg praktisch eingespart.

Natürlich darf der Hinweis der elterlichen Verantwortung für die Medienerziehung ihrer Kinder in dem Papier nicht fehlen. Auf S. 19 heißt es:

„Eltern brauchen niedrigschwellige Information, Orientierungshilfe und Beratung, um die Medienerziehung ihrer Kinder verantwortlich wahrzunehmen (sic!). Da Kinder inzwischen schon sehr früh mit digitalen Medien und Spielen in Berührung kommen, besteht gerade an dieser Stelle Entwicklungsbedarf.“

Angesichts der bildungspolitisch gewollten und umgesetzten Ganztagsbeschulung hat das in einem schulischen Bildungskonzept schon einen Unterton. Besonders schön ist auch der Begriff „niedrigschwellig“ ;-).

Ja es gibt offensichtlich viel Handlungsbedarf in der schulischen Medienkompetenzförderung unserer Kinder. Warten wir es ab und wer da nicht mehr weiter weiß, der gründet einen Arbeitskreis… 🙂

Veröffentlicht von

Dr. Kai Pöhlmann

Dr. Kai Pöhlmann ist Inhaber der ABACUS Nachhilfe Institute Hamburg und Kreis Pinneberg und Gründer des ersten ABACUS-Nachhilfeinstitutes nördlich der Isar. Google+

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