Im Zuge der ewigen Bildungsreformen in Hamburg hat die Behörde einige Entspannungsmaßnahmen für die Hamburger G8-Gymnasien beschlossen, welche ab dem Sommer 2014 greifen sollen und in einer Presseerklärung gestern mitgeteilt. Die wesentlichen Neuerungen:
- Die Unterrichtswochenstundenzahl an Hamburger Gymnasien wird auf max. 34 Schulstunden begrenzt.
- Hausaufgaben gibt’s in Mathe, Deutsch und Englisch je Fach nur noch 1-mal in der Woche, in Nebenfächern nur noch alle 14 Tage
- Schriftliche Leistungsüberprüfungen werden auf Zwei Stück im Halbjahr in den Kernfächern und auf eine in den Nebenfächern beschränkt
- Ein kompletter Schuljahres-Klassenarbeitsplan muss den Schülern bis 10 Tage nach Schulbeginn ausgehändigt werden und darf zwei Klassenarbeiten je Woche nicht überschreiten
Diese „Entzerrungen“ von G8 stehen laut Schulsenator Rabe natürlich in keinem Zusammenhang mit dem in Hamburg anstehenden Volksbegehren zur parallelen Wiedereinführung von G9. Natürlich nicht! Honit soit qui mal y pense… 😉 Mal die Änderungen im Einzelnen betrachtet:
In der kalkulatorischen Addition hält Hamburg die Mindest-Jahresstundenvorgabe der KMK so gerade eben ein, die für Hamburg 34-35 Wochenstunden an Gymnasien vorsieht. Die KMK-Stundenvorgaben sind übrigens für jedes Bundesland leicht unterschiedlich festgelegt. Die Frage nach dem „Warum“ hat noch kein Journalist gestellt…
Hausaufgaben in Mathe nur noch 1-mal in der Woche? Wow… Wir hätten damals als Schüler am HLG gejubelt. Wobei die Presseerklärung der BSB hier etwas schwammig daherkommt: Der findige Mathematiklehrer gibt dann einfach am Montag eine Wochenhausaufgabe bis zum nächsten Montag auf. Von quantitativen Vorgaben ist in der BSB Presseerklärung nämlich nicht die Rede…
Die „neue Vorgabe“ für schriftliche Leistungsüberprüfungen (Klassenarbeiten) von je zwei im Halbjahr entsprechen ohnehin der bereits gängigen Praxis an Schulen. Wobei hier allenfalls die Frage zu stellen wäre, ob in einer Orientierungsstufe für die jüngeren Schüler zwei Klassenarbeiten im Halbjahr als ausreichend zu werten sind. Gerade in der 5. und 6. Klasse bieten mehr schriftliche Abfragen für die Schüler auch eher eine Chance, sich auf die Leistungsanforderungen einer „höheren Lehranstalt“ besser einstellen zu können. Der Druck, in diesen beiden Klassenarbeiten „bloß nicht zu versagen“, würde sich bei mehr Klassenarbeiten wohl besser verteilen.
Ein Klausurenplan wurde ohnehin an Hamburger Gymnasien bereits in E-Q2 am jeweiligen Semesteranfang herausgegeben. Diese Praxis gilt ab kommendem Schuljahr nun auch für die unteren Klassen, was sicher sinnvoll ist, aber auch keine große Neuerung. Schon zur Schulzeit des Verfassers mussten Klassenarbeiten 14 Tage vorher angesagt werden und mehr als zwei Klassenarbeiten je Woche waren am HLG zu unserer Zeit auch nicht üblich.
Alles in allem kann man sich die Frage stellen, wozu diese Maßnahmen dienen sollen. Um einer G-9-Initiative die Argumentationsgrundlage zu entziehen, sind die getroffenen Entscheidungen sicher nicht signifikant genug. Um die Stadtteilschulen zu stärken oder die Anmeldezahlen fürs Gymnasium in Hamburg zu senken, sind die Maßnahmen wohl auch eher nicht geeignet.
Auf einer Metaebene bewertet, führen wohl alle Maßnahmen, Leistungsdruck auf Schüler im G-8er Gymnasium zu minimieren, in der Konsequenz zu einer Schwächung der gymnasialen Schulform in Gänze und sind ein weiterer Baustein im Mausoleum einer nach dem Willen mancher Politiker „unethischen, weil Schüler-differenzierenden“ Schulform.
In dieser Zielgebung scheinen sich alle Hamburger Parteien relativ einig zu sein. Selbst die CDU, jahrelang „Gralshüterin“ eines differenzierten Schulsystems und eines starken Gymnasiums, fordert in Hamburg schon das rythmisierte Ganztagsgymnasium (HA 15/16.3.14, S. 8). Somit nimmt die Kontrastschärfe der ehemaligen Geistesschmiede Gymnasium im Vergleich zur Einheits-und Inklusions-Lehranstalt Stadtteilschule noch weiter ab, wenn auch hier die Ganztagsbetreuung verpflichtend eingeführt wird.
Die Grundfrage wäre, ob für hochgradig differenzierte Gesellschaften ein homogenes oder heterogene, differenzierende Beschulsysteme besser geeignet wären und ob Bildungspolitik Schülern mit hochgradig unterschiedlichen Hintergründen und Fähigkeiten auf Dauer in einer einzigen Beschulungsform gerecht werden kann.
Schulerziehung und Bildung, welches das „Bildungslabor Schule“ in Kulturprogrammen vermitteln kann, wird ja generell immer eine Gruppenveranstaltung bleiben: Schüler werden immer – nach welchen Kriterien auch immer! – zu „Lerneinheiten“ zusammengefasst werden müssen. Anders lässt sich staatlich organisierte schulische Massenbildung in Kulturprogrammen wohl kaum finanzieren.
Je variabler diese Lerngruppen zusammengestellt werden, je variabler ist dann auch immer der schulische Output. Der Anzahl der Vermittlungspersonen (LuL) und deren individuellen „Klonfähigkeiten“ sind natürliche Grenzen gesetzt. „Die Starken ziehen die Schwachen mit“ ist ehrlich betrachtet wohl eher philantropischer Euphemistik denn gelebter Praxis zuzurechnen. Sonst könnten zum Beispiel in der Fußballmannschaft vom FC Bayern ja auch Regionalliga-Spieler mit auflaufen und würden in kürzester Zeit auf Robben oder Ribery-Niveau den Ball „streicheln“.
Nach wie vor korreliert in Deutschland – und nicht nur in Deutschland (!) – Bildungsstand der Eltern direkt mit dem Bildungsstand deren (Schul-)Kinder. Familie und Herkunft entscheiden seit Jahrzehnten über den Schulerfolg von Kindern. Die Antwort der Politik für dieses Dilemma liegt nun darin, möglichst alle Schüler in einen Schultopf zu geben und die schulischen Verweilzeiten zu Lasten der Familie und anderer durch die Erziehungsberechtigten frei bestimmbare Aktivitäten zu erhöhen. Das ist sicher eine Möglichkeit, der Problematik der sozio-kulturellen Differenzierung von Kindern zu begegnen. Ob es aber auch die Lösung im Sinne 1.) gleicher Bildungschancen und 2.) gesellschaftlich benötigter beruflicher Anforderungen ist?
Ein Gedanke zu „Gymnasien in Hamburg werden „entspannt““