Das praktische Berufsbild eines Schulpädagogen hat sich in den letzten Jahren drastisch – um nicht zu sagen dramatisch – verändert: Wo früher fachliche Kompetenz im studierten Haupt- und Nebenfach praktisch ausreichten, werden heute ganz andere Fähig- und Fertigkeiten vorausgesetzt: Früher stand der Auftrag einer fachlichen und wissenskonditionierenden Unterweisung der SuS im Vordergrund. Wer dann noch das Fachgebiet in „mundgerechte Häppchen“ teilen konnte und ein gutes Gespür für die Größe dieser Wissenshäppchen hatte, darüber hinaus auch noch Interesse am Lernfach „‚rüberbrachte“, hatte bei SuS praktisch schon gewonnen und genoss ein relativ entspanntes Berufsleben in geregelten Determinanten und mit planbarem Arbeitsanfall.
Der Lehrer von heute ist, ja muss fachlich Multitasking fähig sein, denn er / sie wird längst nicht mehr nur in der studierten Fächerkombination eingesetzt, fundierte Kenntnisse von Methodik und Didaktik reichen längst nicht mehr aus: Heute ist ein zusätzlich abgeschlossenes Studium der Sozialpädagogik und – im Hinblick auf den politischen Auftrag der Inklusion an Regelschulen – der Sonderpädagogik zwar nicht Voraussetzung für den Staatsdienst, nicht nur hinreichende, sondern nahezu notwendige Variable.
Wer als Schullehrer-In Altruist mit hohem Belastungspotenzial ist, gerne lange und auch am Wochenende arbeitet, langjährige Erfahrung als Streetworker, Psychologe, Kommunikations- und Konfliktmanager und als Streitschlichter verfügt und mit den mannigfaltigen sozio-kulturellen Besonder- und Eigenheiten der verschiedenen Ethnien dieser Erde bestens vertraut ist, steht auf der sicheren Seite und startet allmorgendlich gut gewappnet, motiviert und frohen Mutes in den deutschen Schultag 😉
Darüber hinaus ist ein Fachlehrer natürlich die Executive der „Legislativen Bildungspolitik“ in den einzelnen Bundesländern und hat – qua Ordre de Mufti – die zahlreichen bildungspolitischen Beschlüsse und Reformen ad hoc anwendungsorientiert und zielgerecht „optimalst“ und hochgradig individualisiert im jeweiligen Tagesunterricht seiner SuS umzusetzen, häufig begleitet mit einem „Es wird schon gehen“ und „Sie schaffen das schon“ der entsprechenden Dienstvorgesetzten auf der Verwaltungsebene.
Bildungsentscheidungen auf politischer Ebene zeichnen sich bedauerlicherweise nicht nur gelegentlich, sondern häufiger durch das „Karl-Marx-Sydrom“ aus: In der (wissenschaftlichen) Theorie praktisch alternativlos und geradezu ideal, in der Praxisrelevanz untauglich, weltfremd und trotz hohem Kosten- und Energieaufwand zum Scheitern verurteilt.
Kritik von der unterrichtenden Basis wird dann von der jeweiligen bildungspolitischen Ebene schon gern einmal als Unwillen, Arbeitsverweigerung oder gar als Revanchismus interpretiert, denn schließlich setzt diese Politik ja angeblich stets nur den Wählerwillen um – allerdings auch und gerade unter dem Primat der Kostenkonsolidierung…
Schulpädagogen liegen als Getreidekörnchen zwischen den sich stetig stärker drehenden Mühlsteinen überehrgeizig-aktiver Bildungspolitiker und zunehmend besorgter Elternschaft. Auch die abfällig als „Helikopter-Eltern“ so Bezeichneten sind keine Akteure, sondern reagieren lediglich -sicher auch tw. in Unkenntnis von Verantwortlichkeiten- im wohlmeinenden Interesse für ihr Kind auf den herrschenden Schul-Staus-quo.
Zur in einigen Bundesländern bereits eingeführten Inklusion mal eine Schilderung eines unserer Lehrkräfte, welcher auch an einer Hamburger Regelschule unterrichtet, in Bezug auf einen Schüler, der an einem Tourette-Sydrom leidet, selbstverständlich mit einer Begleitung den Regelunterricht besucht und diesen durch häufige, unverhoffte und lautstarke verbale Äußerungen aus der semantisch bunten Welt der Fäkalsprache anreichert.
So schnell, wie’s ‚rauskommt, kann weder ein Betreuer, noch das Lehr- und Aufsichtspersonal immer reagieren. Der Schüler kann natürlich nichts dafür. Aber interessant ist es hier, mal auf die Kohäsion und Gruppendynamik zu schauen: Diese wandelt sich von Erschrecken bei den ersten Malen über Belustigung (es geschieht ja stets unverhofft und zur Unzeit), über Unwillen hin zur Ablehnung und Umschlagen in Aggression der Peer-Group gegenüber dem betroffenen Schüler. Mal abgesehen davon, dass der Lernfortschritt eines solchen Klassenverbandes durch die ständigen Unterbrechungen hier nicht im möglichen Soll liegen kann. Eine I-Klasse schreitet nun mal immer langsamer voran..
Inklusion sollte unseres Erachtens differenziert und immer auf den Einzelfall bezogen mit dem nötigen Fingerspitzengefühl für alle Beteiligten schulisch umgesetzt werden. Damit hier kein falscher Eindruck entsteht: Ohne Frage ist eine staatliche Regelschule barrierefrei zu gestalten: Ein Rollstuhlfahrer muss zwingend selbstständig in den Chemieraum im II. Stock gelangen können! Kinder mit Teilleistungsstörungen, auch Schüler mit taktilen, auditiven und visuellen Wahrnehmungsstörungen können natürlich an einer Regelschule unterrichtet werden, entsprechende technische Hilfsmittel sind am Markt vorhanden, ja selbst Schulbücher sind mittlerweile im A3-Format erhältlich. Ferner steht Hamburgs Schulen ein bunter Strauß an Maßnahmen zum Nachteilsausgleich zur Verfügung.
Differenziert betrachtet werden sollte das Thema Inklusion bei Schülern mit starken Verhaltensauffälligkeiten und cognitiven Einschränkungen – auch und gerade im Interesse aller betroffenen SuS. Mit einer pauschalen „Flat-Rate-Inklusion“ tut man keinem der mittel- und unmittelbar Betroffenen einen großen Gefallen.
Ein buntes empirisches Potpourri zur aktuellen Schulsituation liefert auch der kurzweilige Artikel von Ferdinand Knauß in der Wirtschaftswoche vom 25.10.13.