Nicht nur Schreiben und Rechnen, sondern auch das Lesen ist eine zwingend zu erwerbende Kulturtechnik und die grundlegende Fertigkeit, welche für Schülerinnen und Schüler immer unabdingbare Voraussetzung für den Schulerfolg darstellt. Lesen können spielt nicht etwa nur im Fach Deutsch eine wichtige Rolle, sondern reflektiert in alle anderen Schulfächer, auch in die Naturwissenschaften wie Mathematik, Biologie und Physik. Wer als Schüler seine Textaufgaben in Mathe oder das Fallbeispiel in Biologie oder Physik nicht korrekt sinnentnehmend lesen kann, bekommt die Lösung der Aufgabe selten „gebacken“.
Immer wieder berichten uns unsere ABACUS-Lernberater und Nachhilfelehrer, dass hier – auch bei muttersprachlichen Schülern ohne Immigrationshintergrund – über alle Schularten hinweg gerade in den weiterführenden Schulen deutliche Lücken in Lesefertigkeit und Textverständnis vorliegen, die die fachliche Schulstofferfassung erschweren. Der Grund ist selten geistige Inkompetenz der jeweiligen Schüler, sondern schlicht häufig mangelnde Leseübung mit und an Texten und Schulbüchern.
Ursachen liegen auf der Hand, einige Beispiele:
1.1. Veränderte Schriftkommunikation:
Früher wurde viel mehr über ausführlichere Schriftformen kommuniziert als heute: Kinder und Jugendliche pflegten Brieffreundschaften, gelegentlich sogar ins Ausland, Kinder hatten Poesie-Alben und führten Tagebücher, die Großmutter erhielt zum Geburtstag einen netten Brief samt Bild und keinen Pinnwandeintrag über „my calender“ via Facebook. Heute gibt es alternativ „Freundschaftsbücher“ mit vorgedruckten Texten, in denen die Kinder noch handschriftlich ihr Lieblingsessen ergänzen können…
1.2. Veränderte Unterrichtsgestaltung an den Schulen:
Die Lehrpläne ließen den Pädagogen mehr Raum für gemeinsames Lesen – auch im Chor – im Klassenverband als heute. Ausgelobte freiwillige Lesewettbewerbe alleine reichen hier nicht aus, und gehen an den weiterführenden Schule zugunsten anderer Inhalte stark zurück. Die Schreibfertigkeiten gehen durch die Abschaffung von Schreibschrift und mangelnde Sanktionierung fehlerhafter Rechtschreibung schon ab der Grundschule schlicht immer weiter zurück.
1.3. Neue Medien:
Die Nutzung digitaler Medien bringt eine veränderte Form des schriftlichen Austausches mit sich: Abbreviationen und Kurzmitteilungen ersetzen ausführliche Schriftformulierungen, Tagesnutzungszeiten elektronischer Medien steigen seit Jahren massiv an, die Schriftsprache und damit die Ausdrucksfähigkeit von Kindern und Jugendlichen verändert und banalisiert sich.
1.4. Geänderte Betreuung:
Vor der „digitalen Revolution“ verbrachten Kinder und Jugendliche mehr Zeit alleine mit sich selber, was zwangsläufig das Lesen förderte, wenn diese keine Lust hatten, sich bei schlechtem Wetter mit ihren Spielzeugen zu beschäftigen. Fest organisierte Freizeitveranstaltungen beschränkten sich in der Regel auf 1-2-mal in der Woche. Heute geht eher der Trend hin zu der Ganztagsbetreuung in der Gruppe, was natürlich auch Vorteile hat, aber eben auch weniger Zeit zum selber Lesen zulässt. Der Tag hat nun mal nur 24 Stunden.
1.5. Verändertes Freizeitverhalten:
Elektronische Medien bieten heute vielfältigste – und parziell durchaus sinnvolle – Möglichkeiten der individuellen Freizeitbeschäftigung vom Lern- oder Action-Spiel bis hin zum Austausch mit anderen über die social networks und erscheinen Schülern dann oft reizvoller als das Lesen eines Buches. Wort- und Schriftsprache wird auf ein absolutes verständigungsnotwendiges Minimum reduziert. Manche Adakemiker (hier fällt uns das Attribut „Wissenschaftler“ wirklich schwer) meinen darin gar eine neue, eigenständige Sprache entdeckt zu haben…
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Die Wissensvermittlung in Schulen geschieht aber in fast allen Fächern (!) jedoch nach wie vor basal schrift- und textorientiert an und mit „gehobenen“ Texten, trotz „Paducation-„Programmen und „Medienkompetenzvermittlung„, die schulischen Ansprüche an Literaturanalyse und Textstruktur steigen hier eher mit den nun jedem Haushalt zur Verfügung stehenden neuen Informations-Medien:
Wo früher das Lesen und die wörtliche Rekapitulation des entsprechenden Kapitels aus dem Schulbuch ausreichte, erwarten die Fachlehrer heute das Studium des zusätzlich ausgegebenen Ergänzungsmaterials, eine umfassende Themenrecherche im Internet und eine schlüssige schriftliche Niederlegung dieser Ergebnisse! Das Gedicht muss nicht nur auswendig gelernt werden, sondern es soll der autobiographische Aspekt über die Kenntnis der Vita des entsprechenden Autors ebenso mit eingearbeitet werden. Das Ganze natürlich unter Einbeziehung des gesellschaftlichen und tagesaktuellen, politischen Bezuges, den jeder Schüler heute den TV-Nachrichten und dem Internet entnehmen kann.
Erschwerend kommt an Schulen die sogenannte „Lernfeldorientierte Kompetenzvermittlung“ hinzu: Wird an Schulen ein Text verteilt, heißt es dann häufig: „Ihr könnt Euch den Text zum Thema zu Haus ja durchlesen.“ Das Lern-Angebot ist vom Fachlehrer somit erfolgt. Der Verfasser dieses Artikels garantiert, dass die meisten Schüler bei einer solchen schulischen „Arbeitsanweisung“ exakt den Unterschied zwischen Konjunktiv und Imperativ kennen!
Es ist – sicher zu Recht – von Schulen mittlerweile die Anwendung und die Umsetzung von Wissen gefragt, nicht wie früher ein stumpfes, auswendig gelerntes Wiedergeben von Stoffinhalten. Voraussetzung hierfür ist aber – nach wie vor – das Lesen (können), denn auch im Internet sind hierfür relevante Informationen für Schüler in der Regel in Schriftform hinterlegt!
Kompetenzen erwerben funktioniert aber nur mit bereits vorhandenen, verinnerlichten Basisqualifikationen, die da ab der Sekundarstufe I sein müssten:
- Anwendungssicherheit im logischen Unterbau der Sprache (Wortart, Satzbau, Zeiten, Interpunktion)
- Beherrschung der Grundlagen der Textbearbeitung (Aufsatz, Bericht, Erörterung, Interpretation)
- Sinnentnehmendes Lesen
- Fähigkeit zur strukturierten Entnahme von Textinformationen
Was nützt die tolle Idee eines Schülers im Aufsatz, welche, für sich alleine genommen, eine „Eins“ wert ist und aus der Kreativität und der Schlauheit entspringt, wenn der strukturelle Rahmen und die Rechtschreibung der Arbeit nicht stimmt? Da wird aus der „Eins“ für die gute Idee ganz schnell eine „Vier minus“…
Die gute Nachricht ist aber: sinnentnehmendes Lesen können Kinder durchaus üben.
Ein Baustein ist hier, sich selber Schultexte und Literatur laut vorzulesen. Damit hat man nicht nur den optischen Sinn, sondern auch die auditive Wahrnehmung über das gleichzeitige Hören aktiviert. Der Neurologe sagt, das jeder Sinn in etwa ein Drittel Wahrnehmung ausmacht. Die Franzosen nehmen schulisch auch noch die taktile Wahrnehmung hinzu, was sie aber sich offensichtlich von Frau Montessori „Lernen mit allen Sinnen“ abgeschaut haben… Das Rad muss in der Schul-Pädagogik ja auch nicht ständig neu erfunden werden… 😉
Ein Gedanke zu „Lesekompetenz und Schulerfolg“