Und wieder ein Bericht über die Bildungssituation in deutschen Landen, diesmal erfreut uns der „Bildungsmonitor“ vom DIW mit einem Überblick über die Gesamtsituation in den 16 Bundesländern. Ein Unterschied zu anderen „Bildungsstudien“ ist im Wesentlichen, dass hier die Bundesländer nicht nur nach bestimmten Kriterien gewichtet, sondern in eine Rangfolge untereinander gebracht werden.
Ähnlich wie schon der Bildungsmonitor 2011 ruft gerade diese Rangfolge immer ein großes Medienecho hervor; die Kultus- / Bildungsministerien der Länder, welche Plätze gutmachen konnten, treten mit stolz geschwellter Brust auf und sind voll des Eigenlobes – auch wenn die Maßnahmen unter Umständen schon von der Regierung der vorherigen Legislaturperiode ergriffen worden sind…“same procedure as every year, James.“
Die „abgerutschten“ Bundesländer auf den hinteren Rängen sehen sich natürlich genötigt, sich öffentlich zu erklären, ob zum Beispiel bildungspolitische „Nachhilfe Schleswig-Holstein“ nötig ist. So Bildungsministerin Prof. Wende aus Schleswig-Holstein: „Die Platzierung gibt nicht die erfreulichen bildungspolitischen Fakten aus Schleswig-Holstein wieder“.
Recht hat unsere Frau von der Küste: Die Daten vom Bildungsmonitor 2012 werden (natürlich) retrograd erhoben und stammen überwiegend aus dem Jahr 2010, teilweise sogar aus 2009 und noch älter, zum Beispiel die Relation der Ausgaben pro Schüler (allgemein bildende Schulen) zu den Gesamtausgaben öffentlicher Haushalte pro Einwohner (vgl. S. 8 der Zusammenfassung) (!) Außerdem wird von Frau Prof. Wende noch die geringere Schere zwischen sozialer Herkunft und Bildungsabschluss in Schleswig-Holstein betont. Hier hat ein Flächenstaat mit homogenerer Bevölkerungsstruktur und geringerer Anzahl von Einwohnern je Quadratkilometer auch üblicherweise bessere Karten als Ballungsräume oder Stadtstaaten mit eher heterogener Bevölkerungsdichte und -struktur…
Nach eigener Aussage der Studie ist es durchaus Anliegen, ein „Benchmarking“, einen Leistungsvergleich zwischen den Bundesländern herzustellen. Die nähere Betrachtung der Studie eröffnet, dass die Crux nach Meinung des Nachhilfe News Blogs durchaus im Detail liegt: Nicht nur in der Verarbeitung – leider alter – Messwerte – 2 bis 3 Jahre alte Daten im reformflinken deutschen Bildungsbereich – sondern auch in der Kombinatorik der Indikatoren in den rangfolgerelevanten Handlungsfeldern der Studie. Wir betrachten die Handlungsfelder mal genauer:
Handlungsfeld Inputeffizienz:
Das Bildungssystem im Allgemeinen und die Schule im Speziellen ist nicht nur als pädagogische, sondern auch als ökonomische Einheit zu sehen und hat besondere Bedeutung für das wirtschaftliche Wachstum einer Volkswirtschaft (vgl. S. 25 Langfassung Studie). Mit diesem Indikator soll der effiziente Einsatz von Bildungsressourcen gemessen werden. Bildungsökonomie klassisch. Ausdrücklich nicht nur der quantitative, sondern auch die „qualitative Allokation“ der Mittel Personal und Kapital. Bei den Indikatoren fällt auf, dass diese zwar durchaus getrennt erfasst werden konnten (zum Beispiel die Investitionsquoten der allgemeinbildenen, beruflichen und der Hochschulen) aber letztendlich in der Gesamtbewertung und im Ranking wieder zusammengeführt werden, was natürlich 1.) zu großer Dispersion (Streuung) und damit zu hohen Standardabweichungen führen müsste und 2.) Korrekturen in qualitativer Hinsicht nur über den sogenannten GINI-Koeffizienten – ein rein quantitatives Merkmal! – geschieht, worauf in der Studie allerdings auch ausdrücklich hingewiesen wird (vgl. S. 34 Langfassung).
Aussagekräftiger wäre hier doch eigentlich, die Investitionsquoten der einzelnen Bundesländer getrennt nach (Primar-,) Sekundärem und terziärem Bildungssektor (= Hochschulen) gegenüber zu stellen und daraus bildungsökonomische Subsumptionen zu ziehen, denn ein terziärer Bildungsbereich hat per se eine völlig andere ökonomische weil überregionale Wirkweise und Zielgruppe, als eine Bildungseinrichtung der Sekundarstufe I, welche primär eng regionale Wirk-, Effizienz- und Handlungsbereiche hat. Auch sind die Möglichkeiten einer Hochschule zur Personalbeschaffung völlig anderen Kriterien unterworfen, als die einer Schule.
Handlungsfeld Schulqualität:
Schule soll sowohl aus der Sicht des Individuums als auch aus Sicht der Allgemeinheit eine qualitativ hohe Bildung ermöglichen, da diese auch Gewähr eines hohen volkswirtschaftlichen Wachstum gibt (= verknüpfter klassischer humanistischer und ökonomischer Bildungsansatz, vgl. S. 70. Langfassung). Zur Bewertung wurden hier PISA-, IQB- und IGLU-Daten (teilweise aus 2001, die neuesten Daten stammen hier aus 2006!) gemischt und – unterschiedlich gewichtet – zu einem Gesamt-Werte-indikator verschmolzen, um eine Validität unter- und miteinander herzustellen, was wissenschaftlich-stochastisch sicher korrekt ist… „Bildung ist ein kumulativer Prozess, dessen Erfolg wesentlich auch von (gerade!) den unteren Stufen abhängt. Leistungsmessungen im Primar (schul-)bereich können dazu beitragen, Defizite frühzeitig zu entdecken und zu korrigieren.“ (vgl. S. 76 Langfassung), wie die Studie absolut korrekt formuliert.
Dies ist signifikant, da alle valide eingeflossenen Schulfächer sogenannte „Treppenfächer“ sind, in denen das Schulwissen aufeinander aufbaut: Wissen und Lernanforderungen der 8. Klasse fußen auf dem erworbenen und konditionierten Schulwissen der 1.-7. Klasse. Somit wäre die logische Konsequenz gewesen, zum Beispiel die IGLU-Daten mit einem höheren Gewichtungsfaktor zu belegen, um diesen Sachzusammenhang ausreichend zu berücksichtigen. „Frühkindliche Bildung vermag das später erreichte Bildungsniveau signifikant zu heben“ (Vgl. Langfassung S. 4). Abgesehen davon, dass Tests wie PISA, IGLU etc. letztendlich zeitpunktbezogene Abfragen sind, welche zeitraumbezogene Validitäten erst im Zeitraumvergleich unter einer jeweils gleichen – vergleichbaren(!) – Grundgesamtheit entfalten. Nicht unbedingt im Vergleich von einzelnen Bundesländern mit völlig unterschiedlichen demoskopischen Merkmalen und volkswirtschaftlichen Determinanten. Und wie der Vorsitzende des VDR, Böhm, in einer Presseerklärung mitteilt: „Der Bildungsmonitor misst eher Quote denn Qualität. Die Untersuchung stützt sich auf rein empirische Zahlenwerte, die für sich genommen zumeist keine Rückschlüsse auf Qualität und Nachhaltigkeit einzelner Faktoren zulassen“. Ja, so is das 😉
Aber es findet sich ja zur Beruhigung der bildungspädagogisch-ökonomischen Gemüter gottlob auch folgender klärender Satz im Bildungsmonitor 2012:
„Es ist zu beachten, dass (die Bewertungs-)Indikatoren theoretisch abgeleitete Kenngrößen darstellen, die über einen festgelegten, nicht oder nur sehr schwer messbaren Tatbestand Auskunft geben sollen.“ (Vgl. S. 18 der Langfassung)
Nichtsdestotrotz bietet der Bildungsmonitor 2012 jedoch gerade in der Langfassung eine aufbereitete Faktenfülle aller Variablen und Determinanten der für die Bildungssituation in Deutschland relevanten Parameter einschließlich einer Vielzahl von weiterführenden Hinweisen zum Thema Bildungsökonomie. Das „Benchmarking“ ist vielleicht eher mit diffenzierter Wahrnehmung zu genießen. Aber das muss man wohl ohnehin bei jeder Arbeit, welche den komplizierten Versuch unternimmt, unterschiedliche Bildungssysteme in (Bundes-) Ländern mit unterschiedlichen Demoskopien und Rahmenbedingungen zu validieren und überhaupt eine Vergleichbarkeit herzustellen.
Die komplette Studie in der hier zitierten ausführlicheren Langfassung findet der Interessierte bem DIW Köln hier, die Kurzfassung für den schnellen Leser dort, wenn der Server nicht streikt ;-).