In Hamburg liegt die Abiturquote auch bei fast 50%, wie der interessierte Leser dem gestern veröffentlichten „Bildungsbericht 2012″ des BMBF entnehmen konnte. Klingt zunächst einmal nach Bildungserfolg.
Man fragt sich jeoch bei längerem Nachdenken jedoch, ob das Bildungsniveau der Hamburgischen Bevölkerung insgesamt gestiegen ist, und wenn ja, warum. Aus der Grundschulklasse des Verfassers in Hamburg Eimsbüttel mit 32 Kindern bekamen damals zwei Kinder eine Gymnasialempfehlung… Früher waren Abiturquoten von 18% viel, heute sind wir in Deutschland und in Hamburg bei 49% im arithmetischen Mittel.
Bekommt die Bevölkerung in Deutschland plötzlich intelligentere Kinder, sind die Schulen besser ausgestattet (kleinere Klassen, mehr finanzielle Mittel etc.), sind die Lehrer heutzutage länger und besser durch den tertiären Bildungssektor vorbereitet?
Ohne die Leistungen der Abiturienten in Hamburg schmälern zu wollen – im Besonderen nicht die der 111 Abiturienten in Hamburg, welche mit der Note „1“ abschlossen – ist es doch interessant, die hohen Quoten und deren Ursachen differenzierter zu betrachten:
Der Bildungsbericht 2012 weist aus, dass ein Indikator für die Erhöhung der Abiturquote im signifikant gestiegenen Frauenanteil liegt: Heutzutage besuchen schlicht mehr Schülerinnen als Schüler eine Sekundarstufe II als früher.
Ebenfalls hoch bleibt laut Bildungsbericht der Anteil an leseschwachen Schülern (19%). Der Anteil von Schülern, welche in der 9. Klasse nur über basale Lesekompetenz verfügen, ist eher angestiegen. Früher waren die schriftlichen und mündlichen Prüfungen ausschlaggebend für das Erreichen der allgemeinen Hochschulreife, ein „Aussuchen der Fächer“, eine Legung von Schwerpunkten gab es nicht und war Schülern nur über die Auswahl des Gymnasiums (neusprachlich oder altsprachlich / humanistisch) möglich. Heute kann das Abitur in allen Bundesländern „neigungsbezogen“ abgelegt werden: Zunächst über Abwahl von Fächern und die Festlegung auf „Leistungsfächer“, heute über die „Profilwahl“.
Wobei auch hier heutzutage die Abiturprüfungen nicht alleine ausschlaggebend für die Abitur-Endnote sind, sondern nur – vereinfacht ausgedrückt – zu einem Drittel in der tatsächlichen Endnote Berücksichtigung finden.
In Hamburg und Schleswig-Holstein läuft es zum Beispiel so: Von den 12 beziehungsweise 13 unterrichteten Fächern der Sekundarstufen II (Studienstufe) gehen nur 9 ausgewählte Fächer in die Vornote ein, die dann doppelt gewichtet werden und die Abi-Prüfungsleistungen werden – einfach gewichtet – dazu geschlagen. Die Gymnasialnotenpunkte werden in ein Punktesystem (S. 13 ff.) umgewandelt. Maximal sind 900 Punkte erreichbar: 600 aus der Vornote, 300 aus den Abiprüfungen (Quellen: Schleswig-Holstein-Landesverordnung OAPVO und „Studienstufe an allgemeinbildenden Schulen“ der BSB Hamburg). Die Abiturthemen, die dazugehörige Literatur und maßgescheiderte Übungsaufgaben sind zwei Jahre vorher schon bekannt.
Früher war das Abitur noch eine Ausleseprüfung für den tertiären Bildungsbereich, heute wollen und sollen es offensichtlich möglichst alle erreichen. Hierzu mal ein Artikel aus der FAZ v. 15.3.2012 über das Notendumping an deutschen Schulen, um eine hohe Abi-Quote zu erreichen…
Ist das für eine Leistungsgesellschaft auch unter der Betrachtung makroökonomischer Determinanten sinn- und zielführend? Stöhnt die Volkswirtschaft in Deutschland nicht über Mangel an Lehrstellenbewerbern und haben wir etwa keinen Facharbeitermangel in Deutschland, so dass im Osten Deutschlands schon junge Leute aus Polen als Auszubildende aquiriert werden?
Offensichtlich wird gelegentlich vergessen, dass der Mittelstand Träger der ökonomischen (industriellen) Leistungsfähigkeit von Deutschland ist. Es macht ökonomisch durchaus einen Unterschied, ob junge Menschen mit 15/16 oder erst mit 19,5 Jahren oder noch später dem Arbeitsmarkt zur Verfügung gestellt werden…
Ferner kann der Leser dem Bildungsbericht 2012 noch entnehmen, dass unsere „gesellschaftlichen Problemzonen“ trotz aller Schul- und Bildungsreformen und deutlich gestiegenem Kostenaufwand nach PISA bildungstechnisch noch nicht signifikant erreicht werden:
Nach wie vor ist der Anteil von Schülern ohne Schul- und Berufsabschluss hoch, Segregationstentenzen nehmen – trotz flächendeckender Ganztagsbeschulung und wertigen Integrationsprojekten – bei Bürgern mit Migrationshintergrund zu:
„Kinder, die mit ihren Eltern zu Hause nicht Deutsch sprechen, werden zu einem Drittel in Kindertageseinrichtungen betreut, in denen mehr als 50% der Kinder ebenfalls eine andere – nicht-deutsche – Familiensprache haben“ und „… weisen vor allem Migranten aus der Türkei und den ehemaligen Anwerbestaaten weiterhin deutlich geringere Bildungsbeteiligungsquoten auf als sonstige Migranten.“ (vgl. S. 7 der Zusammenfassung Bildungsbericht 2012)
Und ob wirklich jeder zweite deutsche Abiturient „reif für die Hochschule ist“, kann die Statistik auch beantworten: Man könnte sich ja mal die Anzahl der Studienabbrecher vor Erreichen des BA, beziehungsweise Vordiplom auf einer Zeitachse von 1980 bis dato betrachten 😉
3 Gedanken zu „Bildungsbericht 2012: Hohe Abiturquote in Hamburg“