Mehr Schüler als erwartet schaffen den Sprung von der Orientierungsstufe an Hamburger Gymnasien in die 7. Klasse. Der „Hamburger Blätterwald“ vermeldet heute, dass viel mehr Schüler in Hamburg als nach den Halbjahreszeugnissen angenommen und zu erwarten war, doch den Übertritt in die 7. Klassenstufe des Gymnasiums in Hamburg geschafft haben. Gratulation.
Den Fachmann wundert das vielleicht weniger, denn Halbjahreszeugnisse fallen schon mal tendenziell gelegentlich etwas schlechter aus, um die Kandidaten nochmal zum „Endspurt“ zu motivieren :-).
Damit bleibt auch den neuen Haupt- und Realgesamtschulen, in Hamburg Stadtteilschulen genannt, eine neue „Jahrgangsschülerschwemme“ erspart, die politisch momentan geforderte Einschränkung des Schulformwechsels in Hamburg wurde umgesetzt und die Personalbedarfsplanungen und damit der Aufwand der BSB Hamburg kann sicher geringer werden :-).
Auch die Übertritts-Gymnasiasten in Hamburg, die es so gerade mit „Ach und Krach“ in die 7. Klassenstufe geschafft haben, können sich vermeidlich entspannen: Das Sitzenbleiben ist in Hamburg (schon fast) abgeschafft und außerdem werden ja alle Schüler in Hamburg im nächsten Schuljahr mit „kompetenter“ Gruppennachhilfe von noch anzuwerbendem Personal professionell in den jeweiligen Schulen unterstützt.
Einige Gedanken hierzu:
- Mathe, Englisch und Deutsch sind sogenannte Treppenfächer: Hier baut das Wissen von Klassenstufe zu Klassenstufe systematisch aufeinander auf. Was nützt später der tolle Gedankengang im Aufsatz, wenn Struktur, Form, Zeit, Schreibstil und die Rechtschreibung vielleicht nicht stimmen? Und dass, wo die Bewertung, Benotung und Überprüfung der Rechtschreibung in der Primarstufe in Hamburg abgeschafft worden ist… Da wird aus der „2+“ für die tolle Idee im Aufsatz unter Umständen auf der weiterführenden Schule ganz schnell eine „4-„. Hier hilft dann häufig nur noch eine individuelle Fördermaßnahme für das Kind, wie zum Beispiel eine professionell auf den Bedarf abgestimmte ABACUS Nachhilfe…
- Gerade Gymnasien in Hamburg haben meist recht hohe Erwartungen an die selbstständige Lern- und Arbeitsstruktur der jeweiligen Schüler: Im Rahmen der lernfeldorientierten Kompetenzvermittlung – Hamburg ab S. 38 im Bericht – soll jeder Schüler sich auch das vom Fachlehrer vorgegebene Lerngebiet möglichst eigenständig erschließen können. Er muss sozusagen dann selber „das Lernen lernen“.
- Sicher, die Unterweisung nach Lernfeldern und die praktische Umsetzung (= Kompetenzvermittlung) ist im dualen Ausbildungswesen Deutschlands an den Berufsschulen seit Jahrzehnten „Gang und Gäbe“: Der Berufsschullehrer für Maurer kann den Lehrsatz des Pythagoras mit dem sogenannten „3-4-5-System“ anschaulich durch Auslegen von KS-Steinen erklären, der Zimmermannslehrling kennt das Verfahren ebenso. Für den technisch-gewerblichen Auszubildenden im 3. Lehrjahr ist dann auch der Begriff der „Diagonalenvermittlung“ später kein Fremdwort mehr, denn an Berufsschulen unterrichten – im Regelfall – Praktiker mit Berufserfahrung. Ein Mathematiklehrer mit 2. SE oder Master-Abschluss erklärt aber vielleicht im Unterricht nur so: „Die Summe der Kathetenquadrate ist gleich dem Hypothenusenquadrat“ – womöglich ohne lebenspraktische Herleitung und Umsetzung, was bei Schülern der 6. und 7. Klassenstufe so dann natürlich ein gewisses Abstraktionsvermögen voraussetzt…
- Die geringere Schulform-Durchlässigkeit zwingt Schüler zunächst auf dem Gymnasium zu verbleiben und hindert gute Stadtteilschüler ebenso, auf das Gymnasium zu wechseln, um dann dort ihr Abitur – wie in Deutschland bis 1965 ohnehin durchgängig üblich – in 12 Schuljahren abzulegen (Umstellung auf G9 erfolgte in Deutschland, nachdem der Bildungswissenschaftler Picht den Begriff der „Bildungskatastrophe“ (mit-)geprägt hatte…)
- Mit dem Abschaffen des Sitzenbleibens und dem eingeschränkten Schulformwechsel steigt natürlich auch die Gefahr für etwas leistungsschwächere Gymnasiasten, mit einem mittelmäßigen oder gar schlechten Abschlusszeugnis der 10. Klasse das Gymnasium dann ohne Oberstufe verlassen zu müssen. Ein Sitzenbleiben und Wiederholen einer Klassenstufe, um hier vielleicht auch intelligenten Spätentwicklern in der Phase der Adoleszenz Rechnung zu tragen, ist im Regelfall in Hamburg dann nicht mehr möglich…
- Und ob sich zukünftig die Aussichten für zwangsweise abgeschulte Gymnasiasten der 10. Klassenstufe mit einem mittelmäßigen Realschul-Zeugnis auf dem Arbeitsmarkt positiv darstellen?
Ob die jetzt in Hamburg schulpolitisch eingeleiteten Änderungen (keine Klassenwiederholungen, De-fakto-Abschaffung der Rechtschreibung und der Freistellung der Schreibschrift in der Primarstufe, partielle Abschaffung von Abschlussprüfungen, Einschränkung der Durchlässigkeit des mehrgliedrigen Schulsystems) sich gut mit der von der Bundesregierung geforderten „Bildungsrepublik Deutschland“ vertragen und den Bildungs- und Wissenstand unserer Schüler heben und verbessern, bleibt abzuwarten…
Ein Gedanke zu „Gymnasium Hamburg: viele Schüler bleiben“